Speaker 1: Was haben unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Cem Özdemir und Barbara Schöneberger gemeinsam? Alle drei sind mal vom Deutschen Brauerbund zum Bierbotschafter in Deutschland ernannt worden. Alkoholbotschafter, das ist anscheinend ein beliebtes Amt. Weniger belebt scheinen kritische Fragen zum Thema Alkohol zu sein. Diese Erfahrung hat Friederike Wipfler gemacht und das Team von BR Recherche. Ein Jahr lang haben sie sich damit beschäftigt, was über die Gefahren von Alkohol bekannt ist und warum das so wenig im Bewusstsein der Öffentlichkeit ist. Wir machen mit Friederike einen Recherche-Trip hinter die Kulissen der mächtigen Alkoholindustrie. In unserer ersten Folge 2025, mitten im Dry January. Ihr hört 11 km, der Tagesschau-Podcast, ein Thema in aller Tiefe. Mein Name ist Viktoria Kobmann. Heute ist Montag, der 13. Januar.
Speaker 2: Ich sage mal, wenn der Alkohol fließt, ist die Stimmung ausgelassen.
Speaker 3: Selbst wenn ich in einer Weinregion aufgewachsen bin, war es total normal, dass in jedem Dorf ein Weinfest stattfindet. Jedes Jahr mindestens eins. Wein verbindet einfach.
Speaker 4: Da sind viele Leute, die sitzen am Tisch, kennen sich gar nicht am Abend und kommen dann auch über den Wein ins Gespräch und dann entstehen Freundschaften, Liebschaften und was weiß ich. Das hat es alles schon gegeben.
Speaker 3: Wir haben das hier in München natürlich mit dem Oktoberfest.
Speaker 5: Beim Vorglühn haben wir zwei Mast, jetzt im Bierzelt haben wir drei Mast getrunken. Jetzt kommen noch zwei Mast und danach kommt noch eine After-Wiesn-Party.
Speaker 3: Also Feste sind immer mit Alkohol in Verbindung. Auch in der Kirche wird beim Abendmahl getrunken, es hat eine lange Tradition.
Speaker 5: Uns schmeckt es einzigartig, außergewöhnlich.
Speaker 3: Wir haben Weinregionen in Deutschland, wir haben Bierregionen in Deutschland. Es spielt einfach eine große Rolle, auch wirtschaftlich. Fast 50.000 Menschen arbeiten in Deutschland rund um das Business Alkohol, also ob jetzt als Winzer oder im Spirituosen-Bereich oder in den Brauereien hier in Bayern dann auch. Auch für Deutschland ist das ein großer Faktor, denn es sind auch um die drei Milliarden Euro Steuereinnahmen jedes Jahr.
Speaker 1: Also Alkohol ist in Deutschland ein echt großes Thema. Du hast jetzt mit deinem Team von BR Recherche lange dazu recherchiert. Was wolltet ihr denn rausfinden?
Speaker 3: Also wir haben einfach gesehen, Deutschland ist wirklich ein Hochkonsumland. Über die gesundheitlichen Folgen wird aber relativ wenig gesprochen. Und wir wollten uns einfach mal anschauen, warum ist das so? Wir haben uns durch Studien gewühlt und wollten einfach rausfinden, was sind denn jetzt die gesundheitlichen Folgen von Alkohol? Wie gefährlich ist das zu trinken? Kollegen von mir sind dann auch in Berlin unterwegs gewesen, um rauszufinden, welche Rolle Alkohol dort in der Politik spielt. Wir sind in der Bayerischen Landesvertretung des Freistaats Bayern und zwar hat die Staatskanzlei da eingeladen, das macht sie jedes Jahr, zum Oktoberfestanstich. Der findet nämlich nicht erst in München statt, sondern tatsächlich dann offiziell schon in Berlin. Das war im September, das war noch so ein Spätsommerabend und ganz skurril eigentlich, weil das ist in Berlin-Mitte und plötzlich sieht man dann so Leute in Lederhosen da langlaufen, also ein sehr unübliches Bild.
Speaker 6: Die Eröffnung ist Oktoberfest der Bayerischen Landesvertretung, das ist ein Pflichttermin.
Speaker 3: Und meine Kollegen haben sich dann erstmal vorne drangestellt und mit den ankommenden Leuten gesprochen.
Speaker 2: Naja, Politik ohne Bier ist möglich, aber sinnlos.
Speaker 3: Da war zum Beispiel der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Günther Felsner.
Speaker 6: Man muss ja auch sehen, dass man in seinem Leben auch ein bisschen Freude haben will und dann gehört das nun mal dazu.
Speaker 3: Da war zum Beispiel auch der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, der hat dann auch eben nochmal dazu was gesagt, das ist ja ein Kulturgut, ein deutsches und ich
Speaker 6: finde es in Ordnung.
Speaker 3: Und dann geht man so hoch in einen Saal und das ist dann wirklich wie so ein Festzelt geschmückt, so ein bayerisches, also so mit Fähnchen und weiß-blauem Schmuck, da spielt dann die Blasmusikkapelle und es gibt die Brotzeitbretter und so, also es ist dann schon sehr bayerisch angehaucht. Dann wollten die da eigentlich noch weiter Interviews führen und dann kam aber eine Mitarbeiterin auf meinen Kollegen zu und hat gefragt, ja, wofür ist das jetzt nochmal? Und dann hat er gesagt, ja, wir machen eine Doku über Alkohol. Das hat ihnen dann offensichtlich nicht gepasst. Also sie haben dann gesagt, ja, aber diese Veranstaltung, also das wollen sie jetzt nicht mit Alkohol in Verbindung bringen, das ist ja was, das hat was mit Geselligkeit zu tun, nicht mit Alkohol und sie sollen nicht mehr weiterfilmen. Man wollte vermutlich einfach nicht dieses Fest in einem negativen Rahmen sehen, sondern eben, was es halt ist, gesellig, positiv, Spaß, Freude, das sollten so das Lebensgefühl sein und da kam ihnen eine Alkohol-Doku jetzt nicht so gelegen.
Speaker 1: Mit eurer Doku über Alkohol im Hochkonsumland Deutschland habt ihr offenbar nicht gerade offene Türen eingerannt, zumindest nicht bei diesem Oktoberfest der Bayerischen Landesvertretung in Berlin. Wie ist denn die Situation grundsätzlich? Wie viel trinken die Deutschen?
Speaker 3: Laut der Weltgesundheitsorganisation, der WHO, trinken wir im Schnitt im Jahr 11,8 Liter reinen Alkohol. Und um sich das mal genauer vorzustellen, haben wir das umgerechnet und zwar sind das 131 Flaschen Wein im Jahr oder zweieinhalb Flaschen Wein, die wir pro Woche durchschnittlich trinken.
Speaker 1: Das ist ganz schön viel, oder?
Speaker 3: Ziemlich viel. Wir sind in Deutschland damit auch weltweit auf Platz sechs, also in den Top Ten. Vor uns, also auf Platz eins liegt zum Beispiel Rumänien, die trinken im Schnitt 16,4 Liter, also noch ein bisschen mehr. Aber wir sind da ziemlich weit vorne.
Speaker 1: Und du hast gesagt, ihr wolltet euch die gesundheitlichen Folgen anschauen, über die nicht so viel gesprochen wird. Dass zu viel Alkohol schlecht ist, davon gehe ich jetzt mal aus, dass das schon die meisten wissen. Was genau hat euch denn daran interessiert?
Speaker 3: Also lange Zeit gab es diese Vorstellung und lange Zeit hat man das gedacht, dass so geringe Mengen an Alkohol eigentlich sogar positive gesundheitliche Effekte haben. Dieser Mythos vom gesunden Glas Rotwein, den gibt es schon sehr, sehr lange und der hält sich auch in Teilen bis heute. Also ich glaube, es gibt immer noch mehr Menschen, als man denkt, die das glauben bis heute. Und es gibt da so einen Punkt historisch, den man sich da ein bisschen genauer anschauen kann und zwar 1991. Da hat in Amerika der Sender CBS eine Folge der beliebten Sendung 60 Minutes veröffentlicht. Da ging es um das französische Paradox, das sogenannte. Diese Sendung hatte weitreichende Folgen und dieses französische Paradox ist im Grunde, man hatte immer die Italiener als so ein Positivbeispiel, die gesunden Italiener mit den gesunden Herzen, die ernähren sich nach der mediterranen Diät mit viel Olivenöl, Gemüse, Fisch. Dann hat man sich aber mal angeschaut, die Franzosen, die hatten im Vergleich zu den Amerikanern auch sehr gesunde Herzen, obwohl sie sich nicht so mediterran ernähren, sondern mehr mit Weißbrot, Baguette, Butter, Käse. Und in dieser Sendung wollten sie eben herausfinden, warum die Franzosen jetzt auch so gesunde Herzen haben, obwohl die sich anders ernähren.
Speaker 7: Dr. Ellison is launching a major study in four countries, comparing three nations' diets over a one year period with the French. He is in Lyon to consult with French scientists and to have the odd good meal.
Speaker 3: Und reden dann mit einem französischen Forscher, Professor Renaud, und er kommt zu dem Schluss, es ist der Alkohol. Es ist der Alkohol, der die gesunden Herzen zu verantworten hat. Der Rotwein, das ist halt was, was sowohl in der mediterranen Diät vorkommt und auch in der französischen Ernährungsweise, das Glas Rotwein. Und er beschreibt das dann eben, dass das diesen Flushing-Effekt hat, dass das irgendwie die Blutbahnen frei macht und deswegen gut fürs Herz ist und auch eine längere Lebenserwartung verursachen kann.
Speaker 1: Und wie wurde diese Doku von CBS aus dem Jahr 1991 aufgenommen?
Speaker 3: Also man muss sich das vorstellen, in dieser Doku ist ein Host und dann am Ende dieser Doku sitzt er in einem dunklen Setting, hat ein Glas Wein in der Hand und sagt, aha, die Lösung dieses französischen Paradox ist scheinbar dieses Glas Wein. Und dann macht er so eine Brustbewegung und das ist das Ende. Und das haben natürlich viele, viele Amerikaner damals gesehen.
Speaker 1: Das heißt, die Leute haben nach dieser Doku geglaubt, so ein Glas Rotwein, das ist gesund.
Speaker 3: Das war so die Mainstream-Meinung und zwar nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Wissenschaft.
Speaker 8: Do you have access to any water?
Speaker 3: I do. Zum Beispiel gibt es da einen Professor, den haben wir getroffen.
Speaker 8: My name is Tim, Tim Stockwell. I am a psychologist at the University of Victoria. I'm retired, semi-retired. I used to be a faculty member there and now I'm like an emeritus professor.
Speaker 3: Tim Stockwell, so ein ganz netter, älterer Herr mit seinem britischen Akzent und überhaupt nicht gewohnt, jetzt irgendwie im Rampenlicht zu stehen, fast viel zur Sucht zu Alkohol und er berät eben auch viele Regierungen und Organisationen, also er ist da schon eine Koryphäe auf dem Gebiet.
Speaker 8: And as a psychologist, I just found it fascinating, the whole idea of addiction and what a big problem alcohol was, particularly in Scotland, and I thought I'd do my PhD on it. So I think we're talking nearly 50 years ago, that's about 49 years ago, I was here and I made that decision and it's been a long winding road ever since.
Speaker 3: Und der schrieb im Jahr 2000 noch einen Artikel, da hat er geschrieben, wer immer noch anzweifelt, dass ein bisschen Alkohol nicht gesund ist, der kann genauso gut glauben, dass die Erde eine Scheibe ist. Wow, steile These. Ja, ich habe ihn dann getroffen in Schottland und zwar, weil er nicht mehr dieser Meinung ist. Er hat nämlich seine Meinung in den letzten Jahren ein bisschen verändert. Er ist jetzt der Mann, der eigentlich gegen Alkohol kämpft, erstaunlicherweise. Das alles hat angefangen mit einem Anruf von einer Bekannten von ihm, auch eine Uniprofessorin, eine Forscherin zum gleichen Thema aus Kalifornien.
Speaker 8: I remember she had this gravelly voice because she was a smoker. She also liked scotch, she liked her whiskey.
Speaker 3: Die heißt Kay Middleton Fillmore und die hat so gesagt, wollen wir uns nicht mal anschauen, diesen Fakt, dass Leute, die ein bisschen was trinken, gesünder sind als Leute, die gar nichts trinken. Ich hatte das Gefühl, damit stimmt was nicht. Tim Stockwell hat sich überzeugen lassen und hat dann eben auch die Finanzierung für dieses Projekt besorgen können. Mitte der 2000er haben die beiden dann angefangen, eine Metastudie zu machen und sich ganz viele verschiedene Studien anzuschauen zum Thema geringe Mengen an Alkohol haben positive Wirkung.
Speaker 1: Also Tim Stockwell und seine Kolleginnen, die haben nicht selber die Auswirkungen von Alkohol in Experimenten untersucht, sondern in einer Metastudie eben Studien miteinander verglichen, in denen genau das gemacht wurde. Studien, die besagen, dass Menschen, die ein bisschen Alkohol trinken, gesünder sind als Nicht-Trinker.
Speaker 3: Richtig? Genau. Und wollten da einfach mal schauen, gibt's da ein Problem mit? Was wird da verglichen? Stimmt das so? Kann das wirklich sein?
Speaker 8: Es hat sich herausgestellt, dass ganz schön viele von diesen Studien die Nicht-Trinker
Speaker 3: ganz schlecht definiert hatten. Also da wurden Leute als Nicht-Trinker definiert, die vorher aber ein Alkoholproblem hatten und deswegen aufgehört hatten zu trinken. Da waren auch teilweise Leute Nicht-Trinker, die nur eine Woche nichts getrunken hatten.
Speaker 8: Wir haben gute Studien über Alkohol und alle Todesursachen gemacht und wir haben keine signifikante Schutzbedeutung gefunden. Und wir haben nur zwei Studien gefunden, die gut waren, über Alkohol und Herzkrankheit und sie haben keine Vorteile gefunden.
Speaker 3: Sie haben herausgefunden, dass es Probleme gibt mit diesen Studien und sie haben auch herausgefunden, dass es eben viele Gründe dafür geben kann, warum Rotweintrinker im Speziellen gesünder sind als vielleicht Nicht-Trinker. Nämlich, dass sie vielleicht ein bisschen mehr Geld haben, dass sie eine bessere Gesundheitsversorgung haben. Rotweintrinker hatten teilweise bessere Zähne und haben mehr Sport gemacht, mehr Gemüse gegessen als jetzt Leute, die gar nichts getrunken haben, weil es einfach sehr viele Gründe auch geben kann, warum jemand nicht trinkt.
Speaker 8: Und dann ging alles verrückt. Es war ein kleiner Journal, aber es wurde Frontpage-News in Europa, ich glaube, es war Frontpage-News in einem deutschen Journalismus.
Speaker 3: Die haben das dann 2006 veröffentlicht erstmals, das war eigentlich erst so ein Fachmagazin, aber die Medien, die haben das aufgenommen und da wurden dann wirklich so Schlagzeilen draus. Zum Beispiel? Sowas wie Study puts cork into belief, that one glass is good for you oder sowas, also die Studie diesen alten Mythos zerstört, dass das Gläschen wohl doch nicht so gut sei. Also solche Überschriften gab es dann und es ist so wieder um die Welt gegangen und natürlich hat das auch die Alkoholindustrie mitbekommen und die ist dann auch gleich aktiv geworden. Es gab damals ein Institut, das hieß ICAP, International Center for Alcohol Policies, die wurden von den großen Alkoholherstellern auch finanziert und die haben eingeladen zusammen mit der Boston University zu einem Symposium, um mal über das Thema zu sprechen, so über moderaten Konsum und da wurde dann auch Tims Kollegin, mit der er das zusammen gemacht hat, eingeladen, die hat da teilgenommen, da wurde dann eben diskutiert und am Ende wurde ein Bericht über dieses Symposium veröffentlicht, also die haben dann ganz viel Positives berichtet über moderaten Konsum und das Gläschen Wein und so weiter und haben sogar noch gesagt, man müsste noch mehr dazu forschen, was für positive Effekte so moderater Konsum von Alkohol hat. Der stand gewissermaßen drin, dass die Ärzte doch bitte weiterhin ihren Patienten erzählen sollen, das Gläschen ist gut für sie.
Speaker 1: Also trotz der begründeten Zweifel an der Studienlage verbreiten Alkoholindustrievertreter weiter, so ein bisschen Rotwein sei gesund. Wie ist denn dazu der aktuelle Forschungsstand?
Speaker 9: Es ist überhaupt keine Frage, dass Alkohol eine krebserzeugende Substanz ist.
Speaker 3: Wir haben auch mit einem Professor gesprochen, der das mit rausgefunden hat, dass Alkohol krebserregend ist und zwar schon Ende der 70er, Anfang der 80er hat der in Amerika dazu geforscht als junger Professor und mittlerweile ist Helmut Seitz, so heißt er, eigentlich in Rente.
Speaker 9: Er ist von Hause aus Internist und Gastronologe, war lange Jahre Direktor des Alkoholforschungszentrums der Universität Heidelberg.
Speaker 3: Der hat diesen Zusammenhang schon früh gesehen und der hat über seine ganze Karriere hin immer wieder dazu geforscht.
Speaker 9: Also ich beschäftige mich sehr lange, seit über 40 Jahren mit dem Thema Alkohol.
Speaker 3: Und er sagt auch spätestens seit 2007, da hat er zusammen mit einer großen Expertenrunde das eben nochmal festgeschrieben, muss das eigentlich jeder wissen, also seitdem muss das auf jeden Fall auch die Industrie wissen.
Speaker 9: Also die Alkoholindustrie ist ja eine intelligente Industrie, die alle Ressourcen offen hat, die alles sich belesen kann. Die Datenlage in den 80er und 90er Jahren des letzten Handels war schon ganz klar, dass das so ist.
Speaker 3: Und er hat mir eben auch erzählt, dass Alkohol in Zusammenhang gebracht werden kann mit über 200 Krankheiten.
Speaker 9: Übrigens nebenbei, die erste Publikation zum Speiseröhrenkrebs durch Alkohol, nämlich durch Absinthe, wurde im Jahre 1910 von einem französischen Pathologen namens Lamy publiziert. Also eine lange Geschichte.
Speaker 3: Er hat auch einige aufgezählt, manche davon kannte ich, manche nicht. Also von der Leberzirrhose, da hat man ja sicherlich schon mal gehört, aber dann hat er dann irgendwie auch gesagt, ja von der Mundschleimhaut, die Speiseröhre der Magen, die Bauchspeicheldrüse. Solche Krankheiten in diesen Bereichen können durch Alkohol verstärkt werden oder sogar ausgelöst werden. Sogar Demenz wird mit Alkohol in Zusammenhang gebracht. Dann gibt es natürlich auch noch den Brustkrebs.
Speaker 9: Also das größte Problem ist aus meiner Sicht der Brustkrebs, wenn Sie das so sehen, weil es gibt keine Schwellendosis und das ist ja auch die eine Krankheit, warum diese großen Studien sagen, eigentlich null Alkohol, weil der Brustkrebs, es reicht, wenn Sie 10 Gramm Alkohol oder 6, 8 Gramm Alkohol trinken, haben Sie ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs.
Speaker 3: Also Frauen verstoffwechseln Alkohol einfach anders als Männer. Also das liegt jetzt nicht daran, dass wir kleiner sind oder zärter oder irgendwie schmeller, sondern es liegt tatsächlich daran, dass bei uns Alkohol einfach dann länger im System
Speaker 9: bleibt. Frauen haben Östrogene und Alkohol verhindert den Abbau von Östrogen. Und Östrogene sind nicht günstig für die Leber und sind natürlich, das wissen wir heute, ein gewisses Risiko für den Brustkrebs.
Speaker 1: Das hatte ich persönlich auch noch nie gehört, dass Alkohol speziell das Risiko für Brustkrebs
Speaker 3: steigert. Ja, total krass. Also das habe ich auch, ehrlich gesagt, in der Recherche zum ersten Mal gehört und ich habe mich fast dafür geschämt, dass ich das nicht weiß. Aber andererseits komisch, weil mir hat das noch nie irgendwie eine Ärztin oder ein Arzt gesagt, dass Alkohol und Brustkrebs in einem Zusammenhang stehen.
Speaker 1: Und was ist denn dann die Grenze? Also ab wann ist Alkoholkonsum nachgewiesen riskant?
Speaker 3: Also lange ist man davon ausgegangen, dass ein Glas Wein am Tag für eine Frau schon in Ordnung ist und zwei Gläser für den Mann. Also das war so ein Richtwert, der auch häufig kommuniziert wurde in der Literatur. Man spricht, also viele Studien sprechen aber bei 125 Millilitern am Tag bei Frauen von riskanten Konsum. Das heißt, ab da ist mit schweren gesundheitlichen Folgen durchaus zu rechnen. Also da gibt es dieses Risiko. Bei Männern sind es eben 250 Milliliter.
Speaker 1: Okay, also das heißt, dass mit dem einen Glas Wein pro Tag oder dem einen Glas Bier pro Tag, das ist, das ist überhaupt nicht risikofrei, wie man dachte.
Speaker 3: Nee, ist es mittlerweile sogar so, dass die WHO ganz klar sagt, dass es gar keinen risikolosen Konsum von Alkohol gibt?
Speaker 10: There is a clear message that needs to be shared. There is no safe level of drinking.
Speaker 3: There is no safe level of alcohol consumption. Fertig. Ab dem ersten Tropfen.
Speaker 1: Da warnt also die wichtigste Gesundheitsorganisation überhaupt vor Alkohol. Aber ich habe den Eindruck, irgendwie dringt es nicht so richtig durch. Also es gibt ja zum Beispiel Debatten über die Kennzeichnung ungesunder Lebensmittel oder so. Im Zusammenhang mit Alkohol ist mir das jetzt nicht bekannt, dass da stärker auf die Gefährlichkeit hingewiesen werden soll. Gibt es da überhaupt politische Vorstöße zu?
Speaker 3: Es gibt immer mal wieder so Versuche, die sind aber nicht besonders sichtbar. Wir haben uns einen Versuch rausgepickt. Der ist schon zwei, drei Jahre her, aber der ist ganz interessant, weil da zeigt sich ganz deutlich, was passiert, wenn es so einen Vorstoß gibt. Das Ganze fing an im Jahr 2020. Da hat sich die EU zum Ziel gesetzt, sie wollen Krebs bekämpfen.
Speaker 11: Together we can beat cancer. That was one main promise from the EPP during the election campaign. And we are committed to this.
Speaker 3: Da gab es dann eben Videos dazu. Wir haben dann eins gesehen, da sagt der EVP-Chef Manfred Weber eben auch, hey, wir wollen dem Krebs den Kampf ansagen. Es war wirklich so eine große Kommunikationsstrategie. Hey, wir wollen den Krebs jetzt hier in Europa bekämpfen. Da denkt man jetzt erst mal nicht sofort an Alkohol, aber wir haben ja schon gehört, da gibt es einen Zusammenhang. Und tatsächlich ging es da auch ums Thema Alkohol. Also es ist dann eben so, dass das EU-Parlament ein Komitee gründet, also so eine Art Ausschuss, das sogenannte BK-Komitee, BK für beating cancer. Und das bestand aus 62 Abgeordneten von allen Parteien. Und die sollten eben so einen Bericht schreiben.
Speaker 12: Da bin ich gerade ins Europäische Parlament reingekommen und mich hat der Ausschuss gleich interessiert, weil einer meiner Schwerpunktthemen ist einfach Verbraucherschutz und Gesundheitsschutz. Und deswegen fand ich diesen Ausschuss ganz spannend.
Speaker 3: Ich habe eine Abgeordnete getroffen, eine deutsche Abgeordnete, die Teil dieses Komitees war. Manuela Rieper heißt sie. Und sie ist Abgeordnete der ÖDP, der ökologisch-demokratischen Partei Deutschlands, einer kleinen Partei.
Speaker 12: Ich bin auch nicht jemand, der jetzt kein Alkohol trinkt. Ich genieße es auch sehr, ein gutes Glas Wein zu haben. Ich habe zum Beispiel auch letztens meine Region, das Saarland, im Europäischen Parlament vorgestellt und habe auch Weine eines Bio-Winzers kredenzt. Also es ist nicht so, dass ich jetzt dem abgeneigt bin. Ganz im Gegenteil. Aber ich mache das durchaus im Maße.
Speaker 3: Die haben dann erstmal so Leute eingeladen, Expertenrunden gemacht und sich erstmal alles Mögliche angehört. Da war zum Beispiel auch die WHO zu Gast.
Speaker 10: Und das muss ich ehrlich gesagt sagen, war auch für mich neu, denn ich kannte auch
Speaker 12: andere Studien, die besagen, ein Glas Wein, ein Glas Rotwein am Abend tut gut, weil da Tannine drin sind. Also man ging mit so einer Vorstellung rein, dass nicht jeder Tropfen wirklich ein Krebsrisiko auslösen kann. Das war für mich auch neu. Das habe ich dort von dieser Expertin gehört. Und das hat mich dann doch sehr beeindruckt. In diesem Komitee wurde dann erst mal ein Entwurf geschrieben für den Bericht.
Speaker 3: Und man muss sich das so vorstellen, dieser Bericht, das ist kein Gesetz, das hat erst mal gar keine Macht, sondern das ist ein sogenannter Initiativbericht. Das heißt, den haben die auf eigene Initiative geschrieben. Dieser Bericht hat das Ziel, dass sie praktisch abbilden. Wir Abgeordnete der unterschiedlichen Fraktionen, wir sind dieser Auffassung. Und das ist unsere Meinung zu diesem Thema, in dem Fall eben Krebs. Das größere Ziel wäre dann einen möglichen Gesetzgebungsprozess, den es aber gerade noch gar nicht gibt, den es in Deutschland noch nicht gibt. Damit zu beeinflussen und einfach so ein bisschen zu zeigen, das ist unser Standpunkt. Kommission, schaut euch das mal an, wenn ihr dann Gesetze macht. So würden wir abstimmen. Und in diesem Entwurf, der da im Komitee formuliert wurde, da wurden dann Vorschläge gemacht, auch zum Thema Alkohol, zum Beispiel eben Warnhinweise auf alkoholischen Getränken. Also so ähnlich wie auf Zigarettenverpackungen?
Speaker 1: Ja, genau. Ich kann dir das auch mal zeigen.
Speaker 3: Wir haben das nämlich mal gebastelt. Ihr habt das gebastelt? Ah ja, das ist das sieht wirklich aus wie wie ungefähr bei einer Zigarettenverpackung quasi.
Speaker 1: Also hier ist eine Flasche Riesling und dann ist darunter so ein fetter Kasten weiß mit schwarzer Umrandung und dann steht da drin Alkohol kann Brustkrebs verursachen. Ja, so könnte das aussehen wie bei Zigaretten. Also genau, es könnte in diese Richtung gehen. So ein Warnhinweis.
Speaker 3: Und das war zum Beispiel so ein Vorstoß. Dann wollten Sie auch noch das Sponsoren-Gesetz, das wir jetzt Das war zum Beispiel so ein Vorstoß. Dann wollten Sie auch noch das Sponsoren-Gesetz bei Sportveranstaltungen und im Sport generell verbieten von alkoholischen Marken. Es ging aber auch um Formulierungen, zum Beispiel die Formulierung der WHO There is no safe level of alcohol consumption. Es gibt kein sicheres Level an Alkoholkonsum. Das stand da eben auch drin. Und da ist es dann doch relativ erstaunlich, weil dieser Bericht intern in diesem Komitee kamen dann 1500 Änderungsanträge. Das ist ziemlich viel. In rund 70 davon ging es auch um das Thema Alkohol. Und bei sechs Stück davon konnten wir sehen, dass das nahezu die gleiche Formulierung war, wie eine Lobby-Organisation sie vorgeschlagen hatte. Also es ist tatsächlich so, dass uns ein Dokument vorliegt, in dem eine Lobby- Organisation, nämlich Spirits Europe, das ist die Lobby der spirituosen Hersteller, also der großen spirituosen Hersteller, wie zum Beispiel auch Campari ist da Mitglied, und die haben eben ein Abgeordnete geschrieben. Und sie haben gesagt, okay, wir haben da diesen Entwurf gesehen und die haben dann gesagt, wir sind da nicht so einverstanden mit den Formulierungen. Und sie haben sich zum Beispiel diese Sache rausgepickt mit den Warnhinweisen. Und die Lobby-Organisation hat dann vorgeschlagen, das Prominent gleich mal zu streichen. Und statt Label, also diese Warnhinweise sollten als Label erscheinen, sollten das Messages werden. Also es sollten einfach Warnnachrichten, Botschaften auf den Flaschen werden. Wie das dann konkret aussehen könnte, weiß ich nicht, aber wahrscheinlich eher im Kleingedruckten war das wahrscheinlich
Speaker 1: angedacht. Klar, Lobby-Verbände haben natürlich ein Interesse daran, Einschränkungen für ihre Produkte zu verhindern. Ist das üblich, dass Lobby-Verbände in Brüssel so früh schon so aktiv werden?
Speaker 3: Also das war noch nicht mal ein Vorschlag für ein Gesetz, sondern tatsächlich ist das ein Ausschuss, also die schreiben einen Own-Initiative-Report, nennt sich das in EU-Sprache. Also die haben auf eigener Initiative eben diesen Bericht geschrieben und der hat überhaupt keine gesetzliche, also der hat keine legislative Kraft. Das ist einfach erst mal nur ein Bericht und so ein Stimmungsbild und der macht erst mal überhaupt nichts. Und das ist schon sehr erstaunlich, dass sich dann in so einem eigentlich relativ unwichtigen Bericht dann auch so Lobby-Organisationen schon sehr früh einschalten. Es ist durchaus üblich in der EU, dass Lobby-Organisationen das Ganze, was so vorgeht, zu ihren Themen in der EU beobachten und auch dass solche Vorschläge verschickt werden und dass man eben versucht, mit den Abgeordneten zu sprechen. Das macht Greenpeace genauso wie jetzt die Alkohol-Lobby. Aber es ist schon erstaunlich, dass da so genau hingeschaut wurde bei so einem eher nicht so wichtigen Bericht, aus dem wahrscheinlich jetzt erst mal kein Gesetz folgt.
Speaker 1: Und konnte sich die Lobby-Organisation Spirits Europe dann mit ihren Änderungsvorschlägen durchsetzen?
Speaker 3: Ja, man könnte jetzt meinen, dass sich diese Sachen durchgesetzt haben. Das ist aber nicht passiert. Das war damals auch überraschend, weil es wurde so viel schon zum Thema Alkohol lobbyiert und trotzdem war am Ende stand ein Bericht, den auch viele Gesundheitsorganisationen als sehr stark empfunden haben. Also es war nämlich weiterhin diese Warnhinweise drin und zwar als Label und nicht irgendwie als nur kleine Nachricht. Und es war weiterhin das Verbot von Sportsponsoring drin und es war auch weiterhin die WHO-Formulierung drin, dass es kein sicheres Level an Alkoholkonsum gibt.
Speaker 12: Ich finde, wir hatten einen guten Kompromiss gefunden und wir haben uns auch eben an die Studie der WHO gehalten, die ja gesagt, dass jeglicher Alkoholkonsum schädlich ist, ein Krebsrisikofaktor ist. Also ich fand das sehr ausgeglichen.
Speaker 3: Der Bericht steht, der ist stark, also Manuela Rieper zumindest ist zufrieden. Im letzten Schritt muss dieser Bericht dann noch ins Plenum. Also der muss von allen Abgeordneten der EU abgestimmt werden. Und am Morgen der Abstimmung, die findet im Februar 2022 in Straßburg statt, bekommt Manuela Rieper schon um 5 Uhr morgens eine SMS.
Speaker 12: Ich war in Straßburg und was mir immer in Erinnerung bleibt, ist, dass ich an dem Morgen schon eine sehr frühe SMS bekommen habe von dem damaligen zuständigen
Speaker 3: Policy Advisor und da weiß ich schon, das kann jetzt nichts Gutes heißen.
Speaker 1: Und genau hier geht's morgen weiter bei 11KM, denn ihr hört eine 11KM-Doppelfolge. Lasst uns doch ein Abo da oder folgt uns, wenn ihr es noch nicht tut. Dann verpasst ihr Teil 2 garantiert nicht. Und dann erfahrt ihr, wie es weitergeht mit dem BK-Bericht von Manuela Rieper und wie die Alkohollobby politisch mitmischt in der EU und speziell in Deutschland. Wieder mit dabei ist dann Friederike Wipfler. Und die Doku-Serie, an der Friederike mitgearbeitet hat, die heißt Dirty Little Secrets – Warum wir immer weiter trinken. Zusammen mit Julia Schweinberger, Sami Kamis, Lennart Bedford-Strom und Alexander Nabert von BR Recherche. Die Doku findet ihr in der ARD-Mediathek und den Link dazu in unseren Shownotes. Autor dieser 11KM-Folge ist Kaspar von Au. Mitgearbeitet hat Lukas Waschbüsch. Produktion Hanna Brünies, Jakob Böttner, Konrad Winkler, Marie-Noëlle Zwieler und Jan Stahlmann. Redaktionsleitung Lena Gürtler und Fumiko Lipp. 11KM ist eine Produktion von BR24 und NDR Info. Mein Name ist Viktoria Koopmann. Wir hören uns dann morgen wieder mit dem zweiten Teil dieser Folge.
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