Gletscherschmelze beschleunigt: Was es bedeutet
Sven Plöger diskutiert den dramatischen Rückgang der Gletscher 2024 und dessen Auswirkungen auf Wasserreserven und extreme Wetterbedingungen weltweit.
File
Schutz der Gletscher UN rufen Internationales Jahr zur Erhaltung aus
Added on 01/27/2025
Speakers
add Add new speaker

Speaker 1: Die Weltorganisation für Meteorologie hat in diesem Jahr die Gletscher besonders in den Blick genommen. Es geht um den Erhalt und den Schutz der Gletscher. Was gerade aber an den Gletschern passiert und warum sie diesen Schutz brauchen, darüber möchte ich gerne reden mit Sven Plöger, Diplometrologe im ARD Wetterkompetenzzentrum. Hallo Sven, grüß dich.

Speaker 2: Hallo Anja, ich grüße dich sehr. Tag.

Speaker 1: Sven, wir hatten im letzten Jahr ein Rekordjahr. Es war besonders heiß und sehr warm. Natürlich hatte das auch Auswirkungen auf die Gletscher. Was ist an den Gletschern weltweit in diesem Jahr 2024 passiert?

Speaker 2: Die Gletscher, deswegen gibt es wahrscheinlich auch das Jahr des Gletschers, ziehen sich ja derzeit schnell zurück. Klar, logisch, weil es wärmer wird. Wir haben 2024 nicht nur selber in Deutschland das wärmste Jahr erlebt seit Messbeginn. Auch weltweit war das so. Wir haben das 1,5-Grad-Ziel gegenüber dem vorindustriellen Niveau. Das wurde ja mal als Ziel auf dem Pariser Klimaabkommen bestimmt erstmals überschritten. Und jetzt sieht man, dass sich die Gletscher massiv zurückziehen. Das sehen wir seit Jahren. Aber dieser Vorgang beschleunigt sich. Wir liegen jetzt in der Geschwindigkeit etwa beim Fünffachen der 1980er-Jahre. Und schon damals hatte ja die Eisschmelze eingesetzt. Die Veränderung ist wirklich sichtbar und zunehmend spürbar.

Speaker 1: Wenn du sagst, die Gletscher ziehen sich zurück, was konkret heißt das eigentlich?

Speaker 2: Das ist natürlich eine sehr vielschichtige Angelegenheit. Wenn wir an Gletscher denken, denken wir oft an hohe Berge oder weit in der Arktis. Also weit weg von uns. Und deswegen spielt es möglicherweise keine Rolle. Der Gedanke ist sehr falsch. Erstens haben wir in den Alpen sehr in der Nähe liegende Gletscher. Und zweitens, das ist Süßwasser. Also wenn der Gletscher schmilzt, dann stellt er Süßwasser zur Verfügung. Und damit haben wir auch an den Himalaya zum Beispiel gedacht. Ein Riesensüßwasserreservoir, ein Riesentrinkwasserreservoir. Wenn ein Gletscher schmilzt, dann ist es klar, dieses Süßwasser verlässt den Berg, verlässt die Arktis, fließt ins Meer, vermischt sich dort mit Salzwasser. Also Süßwasservorräte verschwinden. Und dann gibt es natürlich auch Folgen. Entsprechend in der Anfangsphase durchaus Überschwemmungen durch das Schmelzen der Gletscher, durch das Wasser, was runtergeht. Und dann anschließend ist irgendwann mal der Gletscher weg. Und wenn er weg ist, liefert er kein Wasser mehr. Das ist eine einfache Erkenntnis, führt aber dazu, dass wir dann trockene Regionen erhalten. Also Flusspegel, die stark schwanken oder sehr niedrig ausfallen können. Trockengebiete, Probleme für die Grundwasserneubildung. Und all das ist die Folge. Also Gletscher sind für unsere Welt, so wie wir sie kennen, tatsächlich wichtig.

Speaker 1: Und wenn es nun eben extrem trockene Flusstäler gibt und dann wieder heftige Überschwemmungen, dann sind wir eigentlich schon wieder im Bereich der extremen Wetter, oder nicht?

Speaker 2: Wir landen relativ schnell da. Also die Gletscher, wie gesagt, wenn sie verschwinden, dann sorgen sie nicht. Also ein gut funktionierender Gletscher, was tut der? Der füllt sich, wenn wir jetzt mal an die Alpen denken, im Winter wieder auf. Dann ist da wieder Süßwasser zur Verfügung, was im Sommer wieder runter kann, was wir nutzen können. Und wenn der Gletscher weg ist, dann schafft er eben Probleme. Extremeres Wetter, du hast das beschrieben. Starkregenfälle auf der einen Seite, aber wir müssen auch einen Schritt weiter denken. Also wenn man mal an Deutschland denkt, der Transport von Waren, zum Beispiel auf einem Fluss wie dem Rhein. Der Rhein wird im Sommer erheblich versorgt durch die Gletscherschmelze in der Schweiz. Wie gesagt, unproblematisch, wenn der Gletscher im Winter wieder tankt. Problematisch, wenn er es nicht tut. Und auch natürlich durch die Niederschläge in der Schweiz. Und dann natürlich auch von anderen Gebieten. Aber das ist ein großer Anteil. Und wenn wir einen Fluss haben mit einem sehr geringen Wasserpegel, wie will man mit Schiffen darauf langfahren? Das ist, glaube ich, sofort nachzuvollziehen. Wir haben aber auch für die Lebewesen große Probleme dort drinnen. Also im Fluss, denn der wird dann immer heißer und sauerstoffärmer. Weniger Wasser im Fluss bedeutet auch weniger Grundwasserneubildung unterhalb des Flusses. Und nicht zuletzt haben wir natürlich auch Kraftwerke. Kraftwerke müssen gekühlt werden. Deswegen stehen sie oft an Flüssen rum. Und wenn der Fluss das nicht mehr bietet, dann muss man Kraftwerke runterfahren oder abschalten. Also es ist eine sehr vielschichtige Problematik, auch eben neben dem Trinkwasserthema.

Speaker 1: Und du selbst warst gerade unterwegs, nämlich in einer Region, in der auch viele Gletscher sind und die auch stark gefährdet sind. Du warst in der Arktis, genauer gesagt auf Grönland unterwegs. Was genau hast du gesehen?

Speaker 2: Viel Eis, Gott sei Dank noch, aber eben auch festgestellt, dass es alles schmilzt. Es ist eine, wenn ich kurz emotional werden darf, ich glaube, das gelingt jetzt mit diesen Bildern. Es ist eine wahnsinnige Reise gewesen in ein Areal. Hier bin ich auf dem Inland-Eis Grönlands. Da kommt man so, guck mal, da sieht man es. Da kommt man so einfach nicht hoch. Riesige Eismassen vor mir, hinter mir, rechts und links davon. Hier nochmal die Gletscher, wie wir sie dann aus dem Hubschrauber gesehen haben. Hier ein Drohnenflug in der Arktis vorbei, auch an diesen Eisformationen. Das war im ersten Moment auch für mich, hier ein Eisbär unterwegs. Und das ist ja ein bisschen die Ikone des Klimawandels durch den Verlust des Lebensraums, auch andere Tierarten. Für mich war das unfassbar viele Emotionen. Kann man sich, glaube ich, vorstellen, wenn man die Bilder sieht. Der Wissenschaftler Sven Plöger, der Meteorologe, der Diplom-Meteorologe war erst mal ein bisschen hinten an. Ich musste erst mal die Emotionen verarbeiten und dann fing es langsam an zu rattern. Und mir wurde klar, wow, das ist einfach unfassbar schön. Es ist eine unfassbar wichtige Welt, die wir da haben für unser Klimagefühl. Und dann kommt natürlich dieses Denken, oh ja, da ändert sich gerade sehr viel und das nicht zum Erfreulichen.

Speaker 1: Was ändert sich da gerade? Was hast du gesehen?

Speaker 2: Wahnsinnig viele Eisberge, insbesondere im Umfeld von Ilulissat. Früher hieß das mal Jakobshauen und das ist an der Disko-Bucht. Und da treiben diese Eisberge raus. Übrigens einer hat wahrscheinlich vor vielen, vielen Jahren, 1912, wurde der Titanic zum Verhängnis, der kam auch von da. Diese Eisberge, habe ich mir auch erzählen lassen, sind heute deutlich kleiner, als sie früher gewesen sind. Sie sind immer noch massenhaft da, weil sich die Gletscherzunge zurückzieht. Und das muss man sehen. Also ich sagte es ja schon, dass die Schmelze der Arktis, der Gletscher, etwa 5-mal so schnell ist wie noch in den 1980er-Jahren. Und selbst die mahnendsten Forscher, sofern man das Wort mahnend steigern kann im Deutschen, die mahnendsten Forscher, die den Rückgang angeguckt haben, angekündigt haben, schon vor Jahrzehnten, sind jetzt von der Wirklichkeit um das 2- bis 3-fache abgehängt. D.h. also diese Schmelze geht unheimlich schnell. Die Lage verändert sich dort. Und ich habe auch viel die Gelegenheit gehabt, mit Einwohnern dort zu sprechen. Es gibt 60.000 Grönländer, das ist irgendwie ein Fünftel von Bonn. Und die sind auf diesen 2,2 Mio. qkm Fläche untergebracht. Also sehr dünn besiedelt, weil ja fast alles Eis noch ist. Und die haben ja auch gesagt, wie extrem sich die Lage verändert. Auch das Zufrieren der Fjorde und insgesamt des arktischen Meeres. Das ist ganz anders und damit natürlich auch für die Jagd ganz anders, als das noch vor 30-40 Jahren der Fall war. Also man spürt diese Veränderung ganz massiv. Und das habe ich dann gespürt durch die Erzählung mit den Menschen.

Speaker 1: Du hast nicht nur die Menschen getroffen, du hast auch viele Forscher getroffen. Und ihr habt vor allen Dingen auch diese Eisberge und diese ganzen Dinge beobachten können. Wir haben da noch ein paar schöne Bilder von Eisbergen, die gerade ins Meer brechen. Du hast gesagt, das war ein sehr emotionaler Moment für dich, oder?

Speaker 2: Zweifellos. Also überhaupt das ganze Dasein auf Grönland, diesen Dreh machen zu dürfen im Auftrag vom Hessischen Rundfunk und auch dem SWR, das war toll. Und hier sieht man einfach mal so ein Abbrechen des Eises. Und hier auch mein Schreck, wir hören es jetzt gerade nicht, aber mein Schreck, das war ein unheimliches Donnergrollen. Und das sind Emotionen, das sind Kräfte. Und ich habe auch immer wieder natürlich in mir selbst gedacht, auch hier, wenn man hier so ruhig das Eis sieht, 9 Zehntel eines Eisberges sind unter Wasser. Deswegen auch nie zu nah rangehen. Wenn da irgendwas kippt, dann kann man wirklich vom Eis erwischt werden. Und zwar schneller, als man denkt. Also ein gesunder Abstand, ein gesunder Respekt vor der Natur. Und dann eben das Kalben der Gletscher wirklich mal zu sehen, zu hören. Aber damit auch diese unglaubliche Bewegung der Natur, die Veränderung zu spüren. Das ist Emotion und das verbindest du dann natürlich mit Wissenschaft. Und in dem Moment wurde mir auch klar, wie wichtig es ist und wie toll es auch auf der anderen Seite ist, solche Dokumentationen zu machen, um eben Menschen diese Welt auch näher zu bringen und vielleicht ein bisschen den Versuch zu unternehmen, diesen Respekt, den ich gegenüber dieser riesigen Natur erlebt habe, auch an die Menschen weiterzugeben. Denn wenn man Respekt vor etwas hat, dann ändert sich möglicherweise der Umgang damit. Klar, wir sind natürlich jetzt nicht jeden Tag am Eis und machen was mit dem Eis. Aber wir wissen, dass wir über die Klimaänderung, die wir nun mal verursachen, auch wenn Herr Trump meint, dass das nicht so wäre, dass wir diese Klimaänderung, die wir verursachen, eben auslösen. Und wenn man hier mit Bedacht auf diese tolle Natur schaut, dann kann das vielleicht ein bisschen Haltung erzeugen und möglicherweise auch was umsetzen bei den Zuschauerinnen und Zuschauern und auch logischerweise bei mir selbst. Es ist ja immer klar, man ist ein Teil davon.

Speaker 1: Sven Plöger, ich danke dir sehr für dieses Gespräch.

Speaker 2: Anja, vielen Dank dir auch. Tschüss.

ai AI Insights
Summary

Generate a brief summary highlighting the main points of the transcript.

Generate
Title

Generate a concise and relevant title for the transcript based on the main themes and content discussed.

Generate
Keywords

Identify and highlight the key words or phrases most relevant to the content of the transcript.

Generate
Enter your query
Sentiments

Analyze the emotional tone of the transcript to determine whether the sentiment is positive, negative, or neutral.

Generate
Quizzes

Create interactive quizzes based on the content of the transcript to test comprehension or engage users.

Generate
{{ secondsToHumanTime(time) }}
Back
Forward
{{ Math.round(speed * 100) / 100 }}x
{{ secondsToHumanTime(duration) }}
close
New speaker
Add speaker
close
Edit speaker
Save changes
close
Share Transcript