Speaker 1: Sie haben den verstorbenen russischen Oppositionsführer Nawalny rechtlich vertreten. Jetzt sind Sie selbst verurteilt worden. Die drei Anwälte des Kreml-Gegners müssen ins Straflager. Zwischen 3,5 und 5,5 Jahre. Ihnen wird Mitgliedschaft in einer extremistischen Organisation vorgeworfen. Nawalny, einer der schärfsten Kritiker des russischen Präsidenten Putin, war vor gut einem Jahr unter ungeklärten Umständen im Straflager gestorben. Mein Kollege Frank Eischmann befindet sich gerade in Tiflis, aber hat für uns alles zu den Urteilen in Russland im Blick. Wie müssen wir uns die Bedingungen der Haftstrafen vorstellen, zu denen Nawalnys ehemalige Anwälte verurteilt wurden?
Speaker 2: Sie sind verurteilt worden zur Lagerhaft des allgemeinen Regimes. Das ist fast so was wie die gute Nachricht in der schlechten. Nawalny war im sog. besonderen Regime untergebracht, wie es häufig politischen Erfangenen ergeht. D.h. mit Schwerverbrechern, mit Langzeitverbrechern. Diese drei sind für eine lange Zeit, aber nicht für eine so lange Zeit verurteilt worden, wie es Nawalny seinerzeit erging. Ihnen wird die Untersuchungshaftzeit angerechnet. Die haben seit Oktober 2023 in Untersuchungshaft gesessen.
Speaker 1: Den Anwälten wird Mitgliedschaft in einer extremistischen Organisation vorgeworfen. Was bedeutet dieser Vorwurf genau?
Speaker 2: Die drei haben Nawalny vertreten. Nur einer von ihnen, nämlich Vadim Koptsev, der die höchste Strafe 5,5 Jahre erhalten hat, hat das auch noch im letzten Lebensjahr an Nawalnys getan. Die anderen beiden hatten ihr Mandat schon aus Furcht vor Bestrafung zurückgegeben. Ihnen wird vorgeworfen, dass sie Nawalnys Informationen aus dessen Lagerhaft herausgebracht und veröffentlicht worden sei. Das bedeutet, dass sie nun auch eingetragen sind, selbst als Extremisten und Terroristen. So heißt die Liste in Russland. Sie dürfen auch, wenn sie wieder freigelassen werden, nicht praktizieren. Weitere drei Jahre gilt für jeden von ihnen ein Berufsverbot als Anwalt.
Speaker 1: Jetzt haben wir heute den 17. Januar. Der 17. Januar 2021 war im Leben von Nawalny ein besonderer Tag. Ist das Zufall, dass die Urteile gerade heute fallen?
Speaker 2: Das ist eine sehr interessante Frage, weil die Geschichte dahinter interessant ist. Ist es Zufall oder nicht, das liegt im Auge des Betrachters. Das ist auch deshalb nicht ganz klar zu sagen, was im September begann, geheim hinter verschlossenen Türen stattfand. Aber was ist Nawalny passiert am 17. Januar 2021? Es gab einen Giftanschlag auf ihn. Er hatte ihn knapp überlebt. In einem Flugzeug ist er zusammengebrochen über Sibirien, wurde nach Deutschland ausgeflogen, dort kuriert in Berlin in der Charité, ist zurückgekehrt im Bewusstsein, das kann schlecht für mich ausgehen. So war es auch. Er ist an diesem 17. Januar 2021 am Flughafen Tscheremetjovo verhaftet worden. Er konnte nie wieder einen Tag in Freiheit sitzen. Er wurde immer wieder angeklagt mit unterschiedlichen Vorwürfen. Er hat jenseits des Polarkreises in einer berüchtigten Kolonie gelebt. Er sah sehr abgemagert aus. Es ging ihm sehr schlecht. Dann ist er gestorben, aus bis heute unklaren Gründen offiziell. Er hatte ein Herzproblem, ein Kreislaufzusammenbruch. Womöglich ist ihm etwas angetan worden. Es gab damals die Debatte, wird er vielleicht ausgetauscht in diesem großen Gefangenaustausch, den es im August gegeben hat. Er war der Gegenspieler von Putin. Eine bekannte kritische Figur gegen Putin. Vielleicht wollte der nicht, dass er ins Ausland geht.
Speaker 1: Der Prozess gegen Nawalnys Anwälte hat im September 2020 begonnen. Du hast es gesagt, ein umstrittener Prozess unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wie viel Widerstand gab es gegen die Verfahren? Gibt es jetzt auch gegen die Urteile?
Speaker 2: Die 3 Anwälte waren nicht alleine dort im Gebiet Wladimir, ungefähr 120 km östlich von Moskau. Sondern vor diesem kleinen Gerichtssaal, in dem sie saßen, in einem Gitterkäfig. Es waren Journalisten, aber auch andere Anwälte, Unterstützer. Sie waren nicht isoliert. Aber das ist kein großer Berichterstattungsgegenstand in Russland. Und wenn wir die Frage stellen, wie groß ist der Widerstand gegen solche politisch motivierten Prozesse in Russland? Nicht mehr sehr groß. Einerseits sehr starke Repressionen. Andererseits, das sagt eine gerade heute veröffentlichte Umfrage des unabhängigen Levada-Instituts, ist das Potenzial der Menschen, die überhaupt in Russland aus politischen Gründen auf die Straße gehen würden, weiter gesunken. Und zwar würden es heute ganze 8% der Bevölkerung sich noch trauen. D.h. die anderen, über 90%, bleiben denn lieber zu Hause. Und noch eine Ergänzung. Nawalny selbst ist auch in den letzten Jahren in Haft. Und nach seinem Ableben vielleicht im Westen noch die größere Symbolfigur gewesen als im russischen Alltag.
Speaker 1: Frank, es ist ja, wenn man das alles zusammenfasst, was Neues. Es geht jetzt in Russland nicht mehr nur gegen sogenannte Extremisten. Es geht auch gegen deren Anwälte. Kann man da jetzt von einem Präzedenzfall sprechen, mit Bedeutung für die Zukunft?
Speaker 2: Ganz genau das hat heute der Anwalt eines der Angeklagten und dann auch Verurteilten gesagt. Dies ist ein Präzedenzfall. Jetzt geht es gegen die Institution der Anwaltschaft. Es geht darum, solche Mandate zu übernehmen. Ich habe es erwähnt, 2 von diesen 3 hatten ja ihre Mandate schon abgegeben. Hatten Nawalny gar nicht mehr verteidigt. Und eben ein weiteres Indiz dafür ist eben dieses letztlich Berufsverbot für 3 Jahre nach der Entlassung aus der Haft. Das hat schon durchaus etwas sehr, sehr Abschreckendes. Gut, es gibt ein Berufungsverfahren. Das hat die Verteidigung angekündigt. Aber bei ähnlich gelagerten Prozessen, nicht gegen die Anwälte, sondern gegen eigentlich als Extremisten oder Terroristen Verurteilten, hat die Berufung letztlich nie Erfolg gehabt. So dürfte es auch in diesem Fall sein. Also ganz klar, das ist hier eine neue Qualität. Und so auch die Forderung letztlich aus dem Ausland von der Bundesregierung, von Julian Nawalny, der Witwe von Alexej Nawalny, sofortige Freilassung. Und man soll es achten, dass Anwälte wieder ihre Mandanten verteidigen können, auch in solchen eher politisch gelagerten Prozessen.
Speaker 1: Zum Schluss noch eine Frage zum Vermächtnis von Nawalny. Wie lebt denn Nawalnys Geist mittlerweile in Russland weiter?
Speaker 2: Ich war Ende vergangenen Jahres an seinem Grab. Er ist ja dort beigesetzt worden unter riesengroßer Anteilnahme. Da lag ein Blumenmeer. Die Menschen haben Hunderte Meter Schlange gestanden. Immer noch Blumen an diesem Grab, auf diesem Grab, das allerdings dort auf diesem Friedhof reduziert worden ist, auf ein Drittel der ursprünglichen Größe. Ansonsten ist es so, dass Alexej Nawalny sicher ein sehr charismatischer und sehr populärer Politiker gewesen ist. Dann aber nach der Haft, nachdem er festgenommen wurde, er in einem doch kleineren Teil der Gesellschaft noch wahrgenommen wurde. Er hatte ja kaum Möglichkeiten oder keine Möglichkeiten, sich öffentlich zu äußern, dass was rausdrang. Das ist ja der Vorwurf von seiner Anwälte gewesen. Das eben nur so über sehr versteckte, eingeschränkte Wege. Es gibt keinen wirklichen Nachfolger und keinen wirklichen Kopf der Opposition heute in Russland. Jedenfalls sehe ich ihn nicht. Und auch die Witwe von Alexej Nawalny, die Julia Nawalny, die ja gesagt hat, ich trete das jetzt an, dringt in Russland nicht durch und würde sie einreisen, dann würde sie auch sofort verhaftet werden. Also kurz gesagt, Alexej Nawalny soll langsam in Vergessenheit geraten. Das dürfte so ein sehr starker Wunsch des Regimes gewesen sein. Er ist dort in Russland tatsächlich einigermaßen in Vergessenheit geraten. Und wie erwähnt, der politische Protest hat in Russland wirklich heute kaum einen Platz aus Angst, vielleicht auch aus Desinteresse. Es gibt nicht diese Vereinigte Opposition, die diesen Protest ausüben könnte.
Speaker 1: Vielen Dank für die Einordnung, Frank Eichmann.
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