Speaker 1: Wenn die türkische Regierung ihren Staatsfeind Nummer 1 um Hilfe bittet, dann muss sich das doch lohnen. Für alle Seiten. Seit Jahrzehnten bekämpfen sich der türkische Staat und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Und ausgerechnet der Staatsfeind Nummer 1 soll nun dafür sorgen, dass die Waffen schweigen. Und das, obwohl Abdullah Öcalan hinter hohen Betonmauern sitzt, in Haft irgendwo zwischen Europa und Asien. Daher nimmt uns Uwe Lüb in dieser Folge mit. Er ist ARD-Korrespondent im Studio Istanbul. Er erzählt uns, ob es diesmal wirklich zu einer friedlichen Lösung im Konflikt zwischen PKK und dem türkischen Staat kommen kann. Ihr hört 11KM, der Tagesschau-Podcast. Ein Thema in aller Tiefe. Mein Name ist Benedikt Strunz. Heute ist Donnerstag, der 23. Januar. Imrale ist eine kleine Insel im südlichen Marmara-Meer. Da gibt es in dem Sinne auch kein normales, ziviles Leben.
Speaker 2: Da ist ein Militärstützpunkt des türkischen Militärs und da ist eben ein Hochsicherheitsgefängnis. Imrale ist eine kleine Insel im südlichen Marmara-Meer. Da gibt es in dem Sinne auch kein normales, ziviles Leben. Da ist ein Militärstützpunkt des türkischen Militärs und da ist eben ein Hochsicherheitsgefängnis. Sehr hohe, graue Mauern von außen, gute 5, 6 Meter hoch. Innendrin eine sehr kleine, nach allem was wir wissen, Zelle. Natürlich kann man da nicht hinfahren und sich das selber anschauen. Das kursieren die ein oder anderen Bilder. Es ist sehr karg gehalten und alles in grauem Beton. Und in diesem Gefängnis gab es sehr lange nur einen Gefangenen, nämlich Abdullah Öcalan. Staatsfeind Nummer 1, zumindest ist er das gewesen. Er ist ja jetzt hinter Gittern seit Jahrzehnten, inzwischen seit fast 26 Jahren.
Speaker 3: Nur drei Minuten brauchte der Richter, um das Urteil zu verkünden. Tod durch den Strang für Abdullah Öcalan. Der Führer der Arbeiterpartei Kurdistan PKK sei verantwortlich für den Separatismus der Kurden. Er trage die Schuld an der Ermordung tausender Menschen, so der Richter, wobei er weder Babys noch Frauen oder Alte geschont habe.
Speaker 2: Es hätte ihm die Todesstrafe gedroht, die ist aber in der Türkei abgeschafft worden und ersetzt worden durch eine mögliche Höchststrafe lebenslänglicher Haft unter erschwerten Bedingungen. Das ist in der Regel Einzelhaft, ohne die Möglichkeit früher freizukommen. Es sei denn natürlich der Präsident begnadigt einen und seitdem sitzt er auf dieser Gefängnisinsel Imrale. Es gab dann vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhebliche Proteste, weil er in Isolationshaft saß und dann sind nochmal so zwei oder drei weitere Gefangene dorthin gebracht worden. Und es gab hin und wieder erlaubte Begegnungen oder man durfte auch mal Tischtennis spielen. Öcalan hat wohl Zugang zu Medien, er darf fernsehen, er darf lesen, er bekommt wohl auch Zeitungen. Aber es ist ein sehr abgeschottetes Leben, was man aber dadurch, dass es jetzt Mitgefangene gibt, denen er hin und wieder begegnet, innerhalb des Gefängnisses nicht mehr Isolationshaft nennt.
Speaker 4: Innenpolitisch gibt es offenbar eine Annäherung an die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Ihr Gründer Abdullah Öcalan sitzt in Haft. Ende Dezember durften ihn erstmals kurdische Vertreter besuchen.
Speaker 2: Also wir wissen es von zwei Dem-Abgeordneten, Dem, der Nachfolgepartei der sogenannten pro-kurdischen HDP, also am ehesten die kurdische Sache vertretend, und zwei Abgeordnete, Siri Süreyya Önder und Perwin Buldan. Die haben Öcalan besucht und es war wohl an dem Tag des Besuches ziemlich hoher Wellengang und man muss da eben mit dem Boot übersetzen und die sind da hin und haben stundenlang mit Abdullah Öcalan geredet und dann sind sie wieder abgereist.
Speaker 1: Abdullah Öcalan, quasi Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der bekommt Besuch von zwei Vertretern einer pro-kurdischen Partei der Dem. Das klingt jetzt erstmal nicht so spektakulär, der Besuch war aber ziemlich besonders. Warum?
Speaker 2: Der war insofern sehr besonders, der Besuch, weil es eben um politische Gespräche ging, mit einer gewissen Erwartungshaltung auch befrachtet. Also die Forderung an Abdullah Öcalan ist es, dazu aufzurufen, dass die PKK die Waffen niederlegt und damit natürlich auch nicht mehr militärisch handlungsfähig sein soll.
Speaker 1: Also die Dem wollte quasi mutmaßlich Abdullah Öcalan überzeugen, die PKK zu beenden.
Speaker 2: Dieser Besuch ist gar nicht zustande gekommen auf Initiative der Dem-Abgeordneten hin, dass die gesagt haben, wir wollen mal mit ihm reden, sondern, und an der Stelle wird es tatsächlich sehr interessant, das Ganze ist angestoßen worden von Devlet Bahceli und Devlet Bahceli ist der Chef der ultra-rechten Partei MHP.
Speaker 5: Und dieser Devlet Bahceli, der hat sich hingestellt vor seine Fraktion, der MHP, und hat gesagt,
Speaker 2: es ist wirklich an der Zeit, dass dieser Prozess der PKK, die Gewalt der PKK, der Terrorismus beendet wird.
Speaker 1: Ich muss nochmal nachfragen, also es hat quasi ein rechtsnationalistischer Politiker den Anführer einer linksradikalen Guerillagruppe eingeladen einmal zu sprechen und der soll ins Parlament kommen, oder wie muss man sich das vorstellen?
Speaker 2: Also ganz so einfach ist es nicht, das ist auch vielfach so gesagt worden. Öcalan soll ins Parlament kommen und erklären, dass die PKK aufgelöst wird. Da gibt es so ein bisschen Streiterei, das hat er so nicht gesagt. Also, dass Abdullah Öcalan im türkischen Parlament vor der versammelten Abgeordnetenschaft reden soll, das wäre auch fast zu absurd, weil wir reden hier über einen Hochkriminellen, einen Verbrecher, einen Terroristenführer, und das wäre schon sehr absurd, wenn der nun vor dem ganzen Parlament reden soll. Devlet Bahceli hat geredet vor seiner Fraktion. Und die haben natürlich im Parlamentsgebäude einen Sitzungssaal. Diesen Sitzungssaal, den teilen sie sich nun aber tatsächlich mit der Partei Dem. Natürlich nicht zeitgleich, die machen das schon hintereinander, aber es ist derselbe Saal.
Speaker 1: In diesem Sitzungssaal, da soll Abdullah Öcalan nun nach den Plänen des Rechtsnationalisten Bahceli reden. Zumindest sollen die Dem-Abgeordneten mit ihm darüber bei ihrem ersten Besuch gesprochen haben. Gestern am Mittwoch hat es übrigens einen zweiten Besuch gegeben, das war aber nachdem wir die Folge aufgezeichnet haben. Kommt es zur Rede Öcalans im Parlamentsgebäude, wäre das allein schon wirklich deshalb bemerkenswert, weil der PKK-Chef dafür extra aus dem Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel geholt werden müsste. Und natürlich muss er dahin auch wieder zurückgebracht werden. Und dann soll Öcalan auch noch verkünden, dass die PKK-Anhängerinnen und Anhänger ihre Waffen niederlegen sollen. Und wir reden hier ja von einem Konflikt, den es seit mehr als vier Jahrzehnten mittlerweile gibt.
Speaker 6: Im Osten der Türkei ist es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen der kurdischen Arbeiterpartei PKK und dem Militär gekommen.
Speaker 7: Die Bewohner unterliegen immer wieder längeren Ausgangssperren und sind zum Teil von Strom und Wasser abgeschnitten. Viele Häuser wurden zerstört. Es herrscht Lebensgefahr durch Scharfschützen und Panzer.
Speaker 8: Allein an diesem Wochenende sind über 100 Menschen gestorben. Da fällt es schwer, nur von Ausschreitungen zu sprechen.
Speaker 1: Wann wurde diese Organisation überhaupt gegründet und was ist das Ziel der PKK?
Speaker 2: Also die nennt sich ja Arbeiterpartei Kurdistan und das ursprüngliche Ziel bei Gründung Ende der 70er Jahre, 78 war es genau, da ging es erst mal um einen eigenen Staat, einen eigenen kurdischen Staat und das Ganze unter marxistisch-leninistischer Prägung. Das Ganze wurde aber, so harmlos es erst mal klingt, mit einer unglaublichen Gewalt verfolgt. Die PKK trat dann so Anfang der 80er Jahre mit Anschlägen in Erscheinung. Der türkische Staat hat hier über all die Jahre immer massiv zurückgeschlagen.
Speaker 8: Seit einigen Tagen führt das türkische Militär eine Großoffensive in den Kurdengebieten durch. In einigen Städten im Südosten der Türkei herrscht regelrechter Ausnahmezustand. Ganze Stadtviertel sind hermetisch abgeriegelt. Das türkische Militär setzt Panzer ein.
Speaker 2: Zum einen tatsächlich militärisch im Osten des Landes, dass Menschen zu Schaden gekommen sind, die eigentlich mit den Kämpfen gar nichts zu tun haben und auch mit PKK-Kämpfern nichts zu tun haben. Zum anderen ist die Justiz da auch sehr konsequent vorgegangen gegen PKK-Aktivisten und hat sehr hohe Urteile verhängt. Und dann sind PKK-Anhänger oder aktive PKK-Kämpfer in Gefängnissen wohl auch gefoltert worden. Also unvorstellbare Dinge sind da passiert und das hat zu einer Radikalisierung geführt. Und dann gab es 1984 also so die ersten ganz massiven Anschläge der PKK und das hat sich dann im Laufe der Jahre fortgesetzt.
Speaker 9: Nach den blutigen Anschlägen der vergangenen Nacht. In der osttürkischen Provenz Arde starben zwei Soldaten, als ein Attentäter einen mit Sprengstoff beladenen Traktor in den Stützpunkt lenkte.
Speaker 6: Bei einem Anschlag der PKK auf einen Militärstützpunkt starben sechs türkische Soldaten, zwei kurdische Wachleute und 14 PKK-Mitglieder. Mehrere Menschen wurden verletzt.
Speaker 2: Und wir reden am Ende ja von mehr als 40.000 Menschen, die durch diese ganzen Auseinandersetzungen, militärischen Auseinandersetzungen zu Tode gekommen sind.
Speaker 1: Du sagst geschätzt 40.000 Menschen, die ums Leben gekommen sind. Wir sprechen da ja von türkischen Soldaten und Polizisten, auch von Zivilisten, vor allem aber von Kurdinnen und Kurden. Wie ist denn das Verhältnis zwischen den Kurden und der PKK heute?
Speaker 2: Also der Rückhalt, den es für die PKK mal in einem größeren Ausmaß gab in den 80er, ja wohl auch 90er Jahren noch, der ist nicht verschwunden, aber er ist zurückgegangen und es wird auch eher weniger. Es gibt sicherlich viele Kurdinnen und Kurden, die sich nach wie vor benachteiligt fühlen, sei das, was Karrieremöglichkeiten anbelangt, was Verdienstmöglichkeiten anbelangt, was die öffentliche, staatliche Fürsorge in ihren Gebieten oder in den Gebieten, in denen die meisten von ihnen leben, betrifft, dass kurdische Menschen zum Beispiel ihre Sprache sprechen möchten, dass sie wollen, dass in ihrer Sprache auch Schulunterricht stattfinden kann. Es gibt mittlerweile durchaus Kurdisch im Unterricht, aber es ist eben nicht eine gesamte kurdischsprachige Schule. Und so etwas verlangen kurdische Menschen, dass es dazu kommt. Und tatsächlich ist es ihnen auch wichtig, dass sie nicht nur aufgrund der Tatsache, einen türkischen Pass zu haben, als Türken gelten. Sie wollen als Kurden gelten mit türkischem Pass. Aber dass es jetzt noch einen breiten Rückhalt in der kurdischen Bevölkerung für die PKK gäbe, da würde ich sagen, nein, das ist nicht so. Und da muss man natürlich auch ein bisschen in die Geschichte schauen. Es hat ja wirklich ein einziges Drangsalieren seitens der PKK gegenüber Kurdinnen und Kurden gegeben. Da sind Jugendliche angelockt worden, 14, 15, 16-Jährige, dann von PKK-Leuten ins Gebirge verschleppt worden und dort zu PKK-Kämpfern ausgebildet worden. Es gibt auch Berichte von Frauen, die dorthin teilweise verschleppt wurden, vergewaltigt wurden. Es sind Kinder geboren in diesen PKK-Camps in den Bergen. Und man hat auf diese Art versucht, Kämpfer zu rekrutieren, die für die PKK und für die vermeintlich für richtig gehaltenen Ziele der PKK kämpfen. Und das eben auch mit Terror, weil irgendwo müssen die Menschen, die zum Beispiel Selbstmordattentate verüben, auch herkommen.
Speaker 1: Und die PKK ist ja auch immer noch aktiv. Wie groß ist denn die Bedrohung, die heute von ihr ausgeht?
Speaker 2: Wir reden über eine verbotene Terrororganisation, die nicht nur in der Türkei als Terrororganisation angesehen wird, sondern auch in Deutschland, in der ganzen EU, in den USA. Und dann gibt es aber sicherlich auch sogenannte Schläfer, Menschen, die ein ganz normales Leben führen und dann plötzlich auffällig werden und eben sogar auch terroristische Anschläge verüben. Das ist das, was nach allem, was wir jetzt wissen, im Oktober vergangenen Jahres passiert ist bei diesem Anschlag auf Turkish Aerospace in Ankara.
Speaker 10: Die Türkei macht die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK für den gestrigen Anschlag am Rande von Ankara verantwortlich.
Speaker 11: Sieben Menschen starben, unter ihnen beide Attentäter. 22 wurden verletzt. Heute veröffentlicht der türkische Innenminister auf dem Kurznachrichtendienst X die Namen der Angreifer. Beide seien Mitglieder der Terrororganisation PKK, schreibt er.
Speaker 2: Die Vermutung ist, dass etliche PKK-Kämpfer sich zurückgezogen haben nach Nordsyrien und in den Norden des Irak und von da aus operieren und möglicherweise von da aus dann auch nochmal ganz neue Strukturen aufgebaut haben und von da aus immer wieder für Anschläge auch zurückgegangen sind in die Türkei.
Speaker 1: Das heißt, der Konflikt PKK, türkischer Staat, der reicht über die Grenzen der Türkei hinaus. Auch nach Syrien sagst du. Wo genau?
Speaker 2: Das ist Rojava. Das ist eine Region im Norden und auch im Nordosten von Syrien. Das ist ein Gebiet, in dem ab 2012 dann tatsächlich infolge des syrischen Bürgerkriegs eine Art Selbstverwaltung entstanden ist von Kurdinnen und Kurden überwiegend. Und diese Region würden sie am liebsten behalten. Und da gibt es erhebliche Widerstände und Gegenwehr, vor allem aus der Türkei.
Speaker 12: Der fast 14 Jahre andauernde Bürgerkrieg in Syrien ist weitgehend vorbei, aber nicht für alle bedeutet das Frieden. Und jetzt greifen pro-türkische Milizen kurdisch kontrollierte Orte im Norden Syriens an. Und im umkämpften Kobane an der syrisch-türkischen Grenze wollen sie sich nicht einfach so ergeben.
Speaker 2: Das hat Präsident Recep Tayyip Erdogan auch sehr klar formuliert. Es kommt überhaupt nicht in Frage für ihn, dass sich dort eine solche kurdische Selbstverwaltungszone etabliert. Und es sind jetzt auch schon von pro-türkischen Kämpferinnen und Kämpfern sehr massiv die kurdischen Kämpferinnen und Kämpfer richtig.
Speaker 12: Die Kurden bilden die größte ethnische Minderheit in Syrien und waren jahrelang eine wichtige Kraft im Kampf gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat. Jetzt sind Zehntausende von ihnen auf der Flucht Richtung Osten.
Speaker 13: Nach 13 Jahren Bürgerkrieg scheint Frieden, zumindest für den kurdischen Teil Syriens, noch immer in weite Ferne.
Speaker 2: Das Interesse Erdogans ist es, eine Sicherheitszone ungefähr 30 Kilometer tief in das syrische Territorium hinein entlang der türkisch-syrischen Grenze zu installieren. Die gibt es auch in Teilen schon und da gibt es aber noch eine Lücke in dieser Zone oder wenn man sich das als Streifen entlang der Grenze vorstellt und das ist genau rund um Kobane.
Speaker 14: Sie sind stolz auf ihre Stadt, Symbol des Widerstandes der Kurden und ihres Sieges über die IS-Terroristen. Doch in diesen Tagen herrscht auf den Straßen wieder Sorge, dass der türkische Präsident Erdogan sich ihre Stadt einverleiben, das Machtvakuum in Syrien nutzen könnte.
Speaker 2: Die Frage ist nur, wer verübt diese militärischen Angriffe? Die kommen ja zum Teil nicht mehr wirklich vom türkischen Militär, von dem Territorium der Türkei aus, sondern die Türkei überlässt sehr viel dieser Arbeit einer syrischen nationalen Armee, so nennt sie sich, die eben sehr stark unterstützt ist von der Türkei.
Speaker 1: Was wissen wir denn über die kurdischen Milizen in Rojava? Wer kämpft da und wie nah stehen diese Kämpferinnen und Kämpfer der PKK?
Speaker 2: Also wir haben da ja die JPG, das ist eine militärische Gruppe, eine Miliz, die stellt den Großteil der SDF, der syrischen demokratischen Kräfte, die sich so nennen und die auch unterstützt werden, zumindest wurden sie das lange und werden es gerade im Moment noch, das kann sich ändern durch den Präsidentenwechsel in den USA, die unterstützt wird, diese SDF von den USA.
Speaker 1: Und warum werden diese Kräfte aus den USA unterstützt?
Speaker 2: Da ging es um Kobane und das war ja 2014, 2015, als kurdische Kämpferinnen und Kämpfer damals diesen sogenannten islamischen Staat in die Flucht geschlagen haben.
Speaker 1: Und diese SDF, die syrischen demokratischen Kräfte, die werden aktuell also auch noch von den USA unterstützt und zu diesen Kräften gehört ja auch die JPG.
Speaker 2: Die JPG wird von der Türkei als der militärische Arm der PKK gesehen. Sie selber sagt das so ganz offiziell nicht, aber die JPG wiederum macht einfach den Großteil, man sagt 90, vielleicht sogar ein bisschen mehr Prozent, dieser SDF aus. Und der Anführer der SDF, der war zumindest früher ein Anführer der PKK. Das heißt also die Nähe zur PKK, die ist definitiv da.
Speaker 1: Sag mal Uwe, wenn Abdullah Öcalan jetzt tatsächlich einmal den Gedanken durchgesponnen sozusagen dazu aufrufen sollte, dass die PKK die Waffen niederlegt. Und jetzt haben wir da quasi eine kampferprobte Gruppe in Nordsyrien, von der wir eigentlich gar nicht so richtig wissen, ob die sich selbst als Teil der PKK sehen oder nicht. Wie ist denn deine Einschätzung? Würden dann quasi diese kurdischen Milizen in Syrien, die JPG, würde die dann diesem Aufruf folgen?
Speaker 2: Das wissen wir nicht. Es gibt Anzeichen, dass sie folgen könnten einem solchen Aufruf. Ein Vorschlag, der kam pünktlich von Maslum Abdi, also diesem Anführer der SDF. Dieser Vorschlag von ihm, der kam sehr pünktlich zum ersten Besuch dieser Dem-Delegation bei Öcalan auf Imrale. Da hat er gesagt, man könne in Kobane ja eine Demilitarisierung auch vorantreiben und die Stadt komplett demilitarisieren. Und das ist nun wiederum von einigen gewertet worden als ein Signal. Ja, wenn der Öcalan sagt, wir sollen die Waffen niederlegen, dann sieht es schon so aus, wir würden dem auch Folge leisten.
Speaker 1: Und ist es jetzt das erste Mal aktuell, dass eine Waffenruhe im Raum steht, möglicherweise diskutiert werden könnte?
Speaker 2: Nein, es gab ja vor ungefähr zehn Jahren einen Friedensprozess, der damals auch sehr vielversprechend war, von 2013 bis 2015. Und da gab es Verhandlungen und Gespräche. Da gab es auch schon einen Aufruf von Abdullah Öcalan, dass sich die PKK-Kämpfer doch hinter die Grenze verziehen sollten.
Speaker 15: Ich sage, dass ein neues Zeitalter beginnt. Es geht nicht um Waffen, sondern um Politik.
Speaker 2: Dass sie also quasi die Türkei verlassen sollten und dann Richtung Nordirak oder Nordsyrien gehen, aber nicht mehr in der Türkei sich weiter aufhalten. Es war aber kein Aufruf, dass die PKK sich wirklich auflösen soll, aber es war schon der Prozess, der hätte enden können an dem Punkt, dass die PKK Gewalt in der Türkei abschwört. Und das war auch das erklärte Ziel damals. Und das ist aber gründlich schief gegangen. Und die PKK-Seite sagt, der türkische Staat war schuld. Von der türkischen Regierung hieß es dann damals aber, die PKK-Seite hätte diesen Friedensprozess aufgekündigt. Tatsache ist aber, dass das Ganze dann 2015 in eine wirklich schlimm eskalierte neue Welle von Gewalt mündete. Das ging ja hin bis zu Straßenkämpfen, Guerillakämpfen seitens der PKK-Kämpfer und einem massiv brutalen Vorgehen wiederum der türkischen Armee. Also das waren wirklich Bürgerkriegszustände im Osten der Türkei. Und das war das Ende des damaligen Friedensprozesses.
Speaker 1: Der letzte Versuch, dass PKK und türkischer Staat ihren Kampf beenden, liegt also bereits rund zehn Jahre zurück. Jetzt könnte es einen neuen Versuch geben. Ich frage mich, warum gerade jetzt eigentlich? Lass uns dafür auch noch mal auf diejenigen schauen, die versuchen, die Fäden zusammenzuhalten. Insbesondere Devlet Bahceli, Ultranationalist, MHP-Chef und damit mit dem türkischen Präsidenten Recep Erdogan in einem Regierungsbündnis. Wie hat Erdogan sich denn bisher zu all dem geäußert?
Speaker 2: Also Erdogan hat sich da relativ zurückhaltend geäußert und hat Bahceli erst mal machen lassen. Das war auch überraschend. Nun, es gab dann auch Vermutungen, dass Erdogan Bahceli vorgeschickt hat. Dann gab es Äußerungen, dass Recep Tayyip Erdogan von all dem gar nichts gewusst habe, was ich persönlich bezweifle. Denn wenn er tatsächlich von Bahcelis Vorstoß nichts gewusst hätte oder nichts davon hielte, dann hätte er Bahceli das sicherlich zu verstehen gegeben, er möge das um Gottes Willen nicht noch mal erneuern. Aber genau das ist ja passiert.
Speaker 5: Was steckt denn da dahinter? Was ist denn für Erdogan drin? Der macht es ja jetzt auch nicht wahrscheinlich aus reiner Menschenfreundschaft, dass er zumindest so einen Prozess in irgendeiner Form toleriert.
Speaker 1: Im Hintergrund hört man immer wieder, oder teilweise auch im Vordergrund, Erdogan möchte eine neue Regierung. Dass zum Beispiel ein Familienbegriff in der Verfassung drinsteht. Vater, Mutter, Kind oder Kinder.
Speaker 2: Und alles, was dem nicht entspricht, hat dann eben unter Umständen auch weniger Schutz durch so eine Verfassung. Das heißt also, gleichgeschlechtliche Lebensformen, das geht nicht. Soll in dieser Verfassung auch eine neue Verfassung entstehen. Das heißt also, er möchte eine neue Verfassung. Das heißt also, gleichgeschlechtliche Lebensformen, das geht nicht. Soll in dieser Verfassung nicht entsprechend toleriert sein. Und das Ganze eben auch noch ein bisschen religiöser und damit auch ein Stück weit konservativer. Und diese Gesellschaft schwebt Erdogan vor, an der bastelt und baut er ja auch schon sehr lange. Und da würde es nicht wundern, wenn er an der Stelle eben auch in eine komplett neue Verfassung, wir reden nicht nur über eine Änderung, sondern über eine ganz neue. Die alte ist von Anfang der 80er. Und eine ganz neue Verfassung, wenn dann da nun auch noch drinstünde, dass der Präsident auch ein drittes oder viertes Mal antreten darf oder derselbe Kandidat. Auch wenn das schon gewesen ist. Das könnte da auch drinstehen.
Speaker 1: Aber das kann man sich alles vorstellen. Was ich jetzt noch nicht ganz verstehe ist, wie kommen jetzt da die Kurdinnen und Kurden ins Spiel?
Speaker 2: Weil man Mehrheiten braucht. Und entweder braucht man für eine neue Verfassung eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Das wäre nur zustande zu bringen, wenn die Dem auch dabei wäre. Oder man schafft es irgendwie auf 60 Prozent der Stimmen im Parlament. Möglicherweise braucht man auch dafür schon die Dem. Dann reicht es für eine Volksabstimmung. Aber dafür braucht man auch kurdische Wählerinnen und Wähler. Und von daher wird in so einer Verfassung möglicherweise auch noch was drinstehen. Nämlich, dass kurdische Menschen sich Kurden nennen dürfen mit türkischem Pass. Und nicht, dass sie Türken sind, weil sie den türkischen Pass haben. Oder, dass es weitere Verbesserungen gibt, was die Pflege ihrer eigenen Sprache anbelangt. Und da gehört durchaus auch dazu dieser Friedensprozess, den man nicht Friedensprozess, sondern nur Prozess nennen soll in der Türkei. Dieser Prozess gehört insofern dazu, als dass Kurdinnen und Kurden, nach meinem Eindruck, in der Mehrheit selber diese ganzen Auseinandersetzungen satt haben. Und es möglicherweise für sie und auch für ihre gewählten Interessenvertreterinnen und Vertreter, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, sehr viel leichter sein wird, für ihre Klientel auch Politik zu machen. Weil eben nicht mehr dauernd dieser Vorwurf der Terrorunterstützung im Raum stehen kann.
Speaker 1: Also auf der einen Seite könnte in der Waagschale liegen eine deutlich konservativere, stärker religiös ausgerichtete Verfassung. Und auf der anderen Seite in der Waagschale mehr Freiheitsrechte für Kurdinnen und Kurden. Ihre kurdische Identität quasi stärker auszuleben, dass sie stärker akzeptiert wird. Sag mal, kannst du dir vorstellen, dass so einem Deal jetzt ein linksradikaler Politiker wie Öcalan zustimmen wird?
Speaker 2: Ich kann mir vorstellen, dass es dazu kommt.
Speaker 1: Aber was hätte Abdullah Öcalan denn persönlich davon? Als erstes denkt man da natürlich an seine lebenslängliche Haftstrafe in diesem Hochsicherheitsgefängnis. Könnte das deiner Meinung nach der Deal sein? Sorgst du dafür, dass deine PKK-Leute irgendwie die Waffen niederlegen und dann kannst du freikommen?
Speaker 2: Da hat Erdogan sich geäußert, der wird natürlich nicht freikommen. Das braucht man auch nicht anzunehmen. Und er hat seinen Justizminister angewiesen, bitteschön dafür in der Öffentlichkeit zu sorgen, dass natürlich ein Massenmörder und Babymörder in der Türkei nicht freigelassen werde. Und Erdogan hat auch noch gesagt, Öcalan will übrigens auch gar nicht freikommen. Das kann gut sein, weil er wäre mit Sicherheit einer der gejagtesten Männer in der ganzen Türkei. Und wo könnte er überhaupt in Frieden außerhalb des Gefängnisses noch leben? Also ich kann mir vorstellen, dass eine Freiheit für Öcalan tatsächlich nicht mehr wirklich infrage kommt. Aber eine Verbesserung von Haftbedingungen, ja, warum denn nicht? Das kann er sich davon versprechen, dass er möglicherweise einen ruhigen Lebensabend dann am Ende auf dieser Gefängnisinsel Imrale verleben kann, möglicherweise regelmäßig Besuch empfangen kann. Und er ist vielleicht auch getrieben von der Einsicht als ehemals Gründer der PKK, dass nach Jahrzehnten und Zehntausenden Toten am Ende der Kampf der PKK zu nichts geführt hat. Und Öcalan ist ja ein Ideologe, wenn man so will. Der möchte Einfluss nehmen. Und ich kann mir vorstellen, dass er aus dieser Einsicht heraus, dass das alles nichts gebracht hat und auf der anderen Seite dem Wunsch, etwas gestalten zu wollen, trotzdem er seit Jahrzehnten im Gefängnis sitzt, dass er aus dieser Motivation heraus handelt. Und aus dem, was ich aus Beobachtungen und Dingen, die ich mitbekomme, die ich lese, die ich höre, er hat selber verstanden, dass die PKK mit ihrem Kampf am Ende ist. Einmal vielleicht Strich drunter, Uwe.
Speaker 1: Wie wahrscheinlich ist es aus deiner Sicht, dass die PKK und der türkische Staat in diesem jahrzehntelangen Kampf wirklich die Waffen niederlegen, also langfristig? Man hat ja gesehen, man hat nichts erreicht.
Speaker 2: Man hat nicht wirklich was erreicht mit all dieser Gewalt, mit Zehntausenden Menschen, die gestorben sind auf beiden Seiten, auf der Seite kurdischer Kämpfer und türkischer Militärs und Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Man hat gesehen, dass es Zehntausende Tote gibt, aber es hat ja alles nicht wirklich was gebracht. Wie groß diese Wahrscheinlichkeit ist, das weiß ich natürlich nicht.
Speaker 1: Uwe, vielen Dank für die Information. Tschüss.
Speaker 2: Gerne. Danke auch. Tschüss.
Speaker 1: Uwe Lüb ist Korrespondent im ARD-Studio Istanbul. Über die weiteren Entwicklungen im möglichen Friedensprozess zwischen PKK und türkischem Staat berichten er und seine Kolleginnen und Kollegen natürlich auf tagesschau.de. Den Link packen wir euch in die Schaunotes. Morgen bei 11.00 Uhr gucken wir auf die Corona-Pandemie. Was haben wir aus der Pandemie gelernt? Und sind wir auf das nächste große Virus besser vorbereitet, fünf Jahre, nachdem der erste Corona-Fall in Deutschland bestätigt wurde? Autoren dieser Folge ist Lisa Henschel. Mitgearbeitet hat Moritz Ferle. Produktion Jacqueline Bretschek, Marie-Noëlle Zwieler, Konrad Winkler und Fabian Zreck. Redaktionsleitung Lena Gürtler und Fumiko Lipp. 11.00 Uhr ist eine Produktion von BR24 und NDR Info. Mein Name ist Benedikt Strunz. Eine neue Folge 11.00 Uhr, die gibt's morgen. Und an dieser Stelle noch ein Podcast-Tipp. In diesem Jahr jährt sich der Sturz des kommunistischen Regimes Albaniens zum 35. Mal. Kurz vorher hatte man den Fall der Berliner Mauer noch irritiert von der Ferne aus verfolgt. Die Politikwissenschaftlerin Lea Ipi erzählt in ihrem Buch »Frei, Erwachsen werden am Ende der Geschichte. Vom Aufwachsen im poststalinistischen Albanien«. Dazu gibt's eine tolle Lesung als Podcast-Form mit der Schauspielerin Katja Bürgner. Das Hörbuch mit 13 Folgen hört ihr in der ARD-Audiothek. Den Link stellen wir euch in die Shownotes.
Generate a brief summary highlighting the main points of the transcript.
GenerateGenerate a concise and relevant title for the transcript based on the main themes and content discussed.
GenerateIdentify and highlight the key words or phrases most relevant to the content of the transcript.
GenerateAnalyze the emotional tone of the transcript to determine whether the sentiment is positive, negative, or neutral.
GenerateCreate interactive quizzes based on the content of the transcript to test comprehension or engage users.
GenerateWe’re Ready to Help
Call or Book a Meeting Now