Waffenruhe und Geiseldeal zwischen Israel und Hamas
Israel und Hamas einigen sich auf Waffenruhe und Geiseldeal. Details zur Vereinbarung und ihre möglichen Auswirkungen auf die Region werden diskutiert.
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Was die Waffenruhe in Gaza bedeuten würde 11KM - der tagesschau-Podcast
Added on 01/27/2025
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Speaker 1: So, Hallihallo. Hörde mich?

Speaker 2: Ey, Chrolio, hier ist Benedikt, grüß dich. Benedikt, schön dich zu hören. Wir haben ja jetzt quasi die Situation, dass irgendwie sich diese Einmeldungen überschlagen. Hast du irgendeine Idee, was davon halten könnte und was nicht?

Speaker 1: Naja, die Unsicherheit, die habt ihr nicht nur jetzt. Es kommen fast hier im Minutentakt Meldungen, wo dann wirklich einzelne Dinge wieder dann angezweifelt werden. Und wir müssen uns da wirklich leiten lassen von den Meldungen.

Speaker 2: Chrolio Segador ist Korrespondent im ARD-Studio in Tel Aviv. Und wir sprechen nicht zum ersten Mal über die Lage in Nahost, seit dem Anschlag der radikal-islamischen Hamas auf Israel und dem Krieg hinaus seither. Dann kam die Eilmeldung, die lang erhoffte Nachricht. Es gibt eine Waffenruhe in Gaza und ein Geiseltiel, möglicherweise. Wir erzählen euch, was das für die Region bedeuten würde, wie die Menschen in Israel und Gaza auf die Nachricht reagiert haben und woran das Ganze jetzt noch scheitern könnte. Ihr wird 11KM, der Tagesschau-Podcast. Mein Name ist Benedikt Strunz und die Folge vom Freitag, 17. Januar, hört ihr schon jetzt. Denn, ihr habt es gehört, die Eilmeldungen überschlagen sich.

Speaker 3: Nun scheint es tatsächlich soweit zu sein. Israel und die radikal-islamistische Hamas haben sich nach schwierigen Verhandlungen in Doha auf ein Waffenstillstandsabkommen geeinigt und zu einem Geiseltiel.

Speaker 2: Die Situation ist gerade dynamisch und ziemlich kompliziert. Was passiert gerade? Was hörst du?

Speaker 1: Ja, sie ist dynamisch, sie ist kompliziert, aber, Benedikt, so war sie immer schon. Insofern ist das für uns jetzt nichts Neues. Was für uns neu ist? Klar, wir haben jetzt zumindest einen, ja, einen Wiel, wie er aussehen könnte. Es haben noch nicht alle Seiten zugestimmt. Also die israelische Regierung hat dieser Waffenruhe und dem Geiseltiel noch nicht zugestimmt. Da gibt es einige, ja, ich würde es einfach mal administrative Hürden nennen. Da muss das Sicherheitskabinett zustimmen. Dann auch wohl auch der Oberstlegerichtshof und möglicherweise auch das Parlament. Aber wenn natürlich im Kabinett die Entscheidung fällt, dass man aus israelischer Sicht dieser Vereinbarung der Waffenruhe im Gaza-Streifen und dann, ja, dass im Gegenzug eben die Geiseln oder ein Teil der Geiseln freigelassen werden, im Gegenzug dann aber auch palästinensische Gefangene aus der israelischen Haft freikommen, wenn das alles so abgesignet wird, dann kann man sagen, dann haben wir wirklich einen Deal und das ist was Neues.

Speaker 2: Ich glaube, viele Leute schauen gerade total überrascht auf die Situation und denken sich, ist es überhaupt irgendwie denkbar, dass Israel diesem Deal jetzt wirklich nicht zustimmen könnte?

Speaker 1: Ja, es haben sich schon sehr, sehr viele Leute aus dem Fenster gelegt, allen voran der neue und künftige US-Präsident Donald Trump, der ja auf seinem Nachrichtenkanal gesagt hat, we have a deal, wir haben einen Deal. Und da kann man schon davon ausgehen, dass er das natürlich auch mit dem israelischen Premierminister so verabredet hat, dass das dann auch gilt. Und auch hier ist es so, dass sehr, sehr viele Stimmen auch aus dem Lager, dem staatlichen Lager gesagt haben, dass man diesem Deal doch sehr, sehr nahe ist. Wie gesagt, es gibt immer wieder Hürden und das ist nicht neu hier, das haben wir immer wieder erlebt, dass dann sozusagen auf den letzten Zentimetern vor einer Vereinbarung wieder was Neues kommt. Und wir hatten wieder eine Mitteilung aus dem Büro von Ministerpräsident Netanjahu, wo es hieß, dass sich die Hamas nicht an die Dinge hält, die eigentlich vereinbart worden waren. Und da geht es jetzt um die palästinensischen Gefangenen, die in israelischen Gefängnissen sind. Da wollte Israel mit eine Entscheidungsfreiheit haben, wer rauskommt und wer nicht. Und das wiederum will jetzt die Hamas wieder eingrenzen. Also oft sind es dann solche Details, aber die haben dann wirklich auch das Zeug, dass sie die gesamte Vereinbarung kippen. Deshalb, alles steht erst wirklich fest, wenn auch wirklich das israelische Kabinett zustimmt. Und jetzt gucken wir einfach, wann diese Entscheidung kommen wird. Wie genau sieht denn dieser Deal aus? Wie viel ist da schon öffentlich bekannt? Also ich konnte es eigentlich bis zuletzt nicht glauben, bis der Ministerpräsident von Katar auch wirklich gesagt hat, es gibt diese Vereinbarung. Und dann ist man natürlich erstmal gespannt, wie sieht denn diese Vereinbarung aus? Was steht denn da eigentlich drin? Weil ein Deal hat ja einen Inhalt und auf den kommt es eigentlich an. Und da haben wir auch sehr scheibchenweise die Dinge erfahren. Und das, was ich bisher erfahren habe, hat meine Skepsis eigentlich sehr, sehr bestärkt. Also ich weiß nicht, ob diese Waffenruhe und dieser Deal wirklich halten werden. Und es soll ja drei Phasen geben. Und die Phase zwei und drei sind noch völlig unbekannt. Die sollen während dieser ersten Phase, jetzt wo bestimmte Dinge festgelegt wurden, entwickelt werden. Das zeigt schon, wie sensibel das Ganze ist. Also ich bin weiterhin sehr, sehr skeptisch und ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Waffenruhe für zunächst einmal sechs Wochen, dass die dann auch wirklich zu einem kompletten Waffenstillstand und möglicherweise dann auch zu einem Friedensvertrag führt.

Speaker 2: Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Ich glaube, viele Menschen hoffen gerade, dass du dich sehr stark irrst in dieser Frage. Nimm uns doch noch mal mit, bitte, Julio, Bestandteil des Deals, du hast es gerade erwähnt, es sei scheibchenweise rausgekommen. Was ist denn bei dir angekommen? Wie sieht dieser Deal aus? Zumindest jetzt mal mit dieser Phase eins, die ja offenbar schon konkreter dargelegt ist.

Speaker 1: Also dieser Deal, der fußt ja im Wesentlichen eigentlich auf dem Biden-Plan von Joe Biden, dem US-Präsidenten vom vergangenen Mai. Seit damals ist verhandelt worden, nur über diese Vereinbarung. Und die sieht vor, eben drei Phasen, ich habe es eben gesagt, und so richtig konkret ist eigentlich nur die erste Phase. Die sieht vor, dass die Waffenruhe am Sonntagmittag beginnen soll, hier um 12.15 Uhr Ortszeit, in Deutschland ist es eine Stunde früher. Und während dieser sechs Wochen sollen schrittweise 33 der vermutlich noch 98 Geiseln im Gazastreifen freigelassen werden, die also noch in der Hand der Hamas sind. Und im Gegenzug sollen dann, ja, eine genaue Zahl gibt es nicht, man spricht immer von hunderten palästinensischen Gefangenen, die in israelischen Gefängnissen sind, die sollen dann freikommen. Es sollen sich zum Teil, aber auch das ist nicht klar definiert, zumindest mit den Informationen, die wir haben, soll sich die israelische Armee auch zum Teil aus bestimmten Gebieten im Gazastreifen zurückziehen. Und der nächste Punkt, und den finde ich unglaublich wichtig, weil er die Menschen, weil er zwei Millionen Menschen im Gazastreifen betrifft, in der Zeit, in diesen sechs Wochen der Waffenruhe, sollen dann verstärkt Hilfslieferungen in den Gazastreifen rein können. Und das ist unglaublich wichtig, weil diese Menschen sind geschunden, die erleben seit über 15 Monaten einen Krieg, die haben alles verloren, was sie hatten. Es sind fast zwei Millionen Flüchtlinge im Gazastreifen, und das sind Lebensbedingungen, die kann man sich eigentlich gar nicht vorstellen. Und insofern ist die Waffenruhe, glaube ich, sehr, sehr wichtig, dass zumindest mal richtig viel humanitäre Hilfe reinkommt, Nahrung, Medikamente, dass die Zelte jetzt im Winter erneuert werden, damit die Menschen nicht unter freiem Himmel leben müssen. Also das ist unglaublich wichtig.

Speaker 2: Wie fallen denn die Reaktionen im Gazastreifen aus? Wie denken die Menschen über diesen Deal, der sich möglicherweise abzeichnet?

Speaker 1: Ja, das war so ein zweischneidiges Schwert, weil erst gab es großen, großen Jubeln.

Speaker 4: Gott ist groß, singen sie in Gaza. Überall feiern die Menschen im Küstenstreifen, in dem seit fast 15 Monaten Krieg herrscht. Auch Anhänger der Terrororganisation Hamas fahren fahnenschwenkend durch die Menge. Die Nachricht von der Waffenruhe, auf die sich Israel und die Hamas geeinigt haben und die am Sonntag in Kraft treten soll, hat sich von Rafah bis in den Norden Gazas in Windeseile verbreitet.

Speaker 1: Weil dann natürlich, und das ist auch eine Sache, die kann man gar nicht oft genug betonen, so eine Waffenruhe führt natürlich für die Menschen dazu, dass sie sich zum Teil wieder einfach neu organisieren können aus ihrem Elend. Es kommen Hilfsgüter, sie können sich eindecken mit Dingen, die sie brauchen zum täglichen Überleben. Und da gab es natürlich erst einmal einen riesigen Jubel, als man gehört hat, ja, man wird diese Waffenruhe bekommen. Als dann der Ministerpräsident von Katar die Details gesagt hat, nämlich, dass die Waffenruhe erst am Sonntagmittag eintreten soll, da gab es dann doch lange Gesichter und große Enttäuschung, wie uns auch unser Producer aus dem Gazastreifen gesagt hat, weil die Menschen jetzt einfach befürchten, dass bis Sonntag noch weiterhin heftig bombardiert wird. Und da könnten sie durchaus recht haben. Nach der Verkündung durch den katharischen Ministerpräsidenten gab es heftige Luftangriffe aus Israel auf den Gazastreifen. Und wir kennen das auch aus dem Norden, als die Waffenruhe mit der Hisbollah vereinbart wurde. Auch da, bis die dann wirklich in Kraft trat, gab es auf beiden Seiten heftige Angriffe. Also insofern befürchten die Menschen im Gazastreifen einfach, dass sie noch einige heftige Tage vor sich haben.

Speaker 2: Und wie fallen die Reaktionen der israelischen Bevölkerung aus?

Speaker 1: Ebenfalls zweischneidig. Auf der einen Seite unglaubliche Erleichterung bei den Menschen, die ja schon seit Monaten, seit über einem Jahr fordern, dass es diese Vereinbarung geben soll, damit man die Geiseln noch lebend aus dem Gazastreifen bekommt. Diese Menschen sagen jetzt, es kann nur ein erster Schritt sein. Wir müssen jetzt für die nächsten Phasen Ähnliches vereinbaren, damit alle 98 Geiseln freigelassen werden, zumindest die, die noch am Leben sind. Auf der anderen Seite gibt es vor allem von eher rechtsgerichteten Kreisen die Aussagen, das ist ein großer Fehler, was hier Benjamin Netanjahu wohl vereinbaren möchte. Und sie sagen, dass mit einer solchen Vereinbarung im Grunde die Hamas sich nur neu formieren kann, sich wieder besser ausstatten kann mit Waffen und dass man dann eigentlich den Vorteil, den man jetzt hatte, militärisch verlieren würde. Es haben jetzt schon einige Abgeordnete und Mitglieder der Regierungskoalition gesagt, dass sie überlegen, aus der Koalition auszutreten. Also zwei rechtsgerichtete Parteien halten das offen. Man muss jetzt gucken, es könnte durchaus sein, dass dieser Vereinbarung hier auch eine innenpolitische Krise in Israel nachfolgt. Man muss jetzt einfach auch abwarten, was genau Ministerpräsident Netanjahu machen wird. Er hat sich noch nicht dazu geäußert. Er hat ja gesagt, er wird sich erst zu dem Deal äußern, wenn er wirklich unter Dach und Fach ist.

Speaker 2: Lass uns zunächst vielleicht mal auf diese gute Nachricht für Israel schauen, auf diesen ersten Schritt im möglichen Deal, die Freilassung von 33 Geiseln. Das gab es ja erst einmal seit Beginn des Krieges, also dass Geiseln freigekommen sind. Wie lange ist das jetzt her?

Speaker 1: Das war im November 2023, also man kann sagen, ziemlich genau zwei Monate nach Ausbruch dieses Gaza-Krieges. Es ist im ganzen Land eine irrsinnige Empathie zu spüren. Und die Namen dieser Geiseln, die sind gestern ja den Familienangehörigen bekannt gegeben worden. Also wir kennen sie nicht. Und für mich war das ein unglaublich emotionaler Moment, weil ich damals auch eine Schicht hatte und Radiogespräche für die verschiedenen ARD-Sender gemacht habe. In dem Moment, wo die ersten Geiseln damals rauskamen aus dem Gaza-Streifen, das waren Bilder, die werde ich nie vergessen. Die wurden an den Händen geführt von Hamas-Leuten mit grünen Stirnbändern. Die waren vermummt, die Hamas-Leute, und wurden dann Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes übergeben. Und dann ging es mit dem Auto in so Pick-ups, ging es dann Richtung Israel, wo sie in Krankenhäuser kamen. Unglaublich emotional. Wir hatten für mehrere Tage diese Waffenruhe. Die wurde immer wieder erneuert. Also die erste Waffenruhe, die war nur für vier Tage. Und dann sagt man, okay, noch zwei Tage mehr Geiseln. Im Gegenzug wurden dann immer wieder im Verhältnis eins zu drei, also das Dreifache an palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen freigelassen. Das war damals der Deal. Und auch damals kam verstärkt humanitäre Hilfe rein. Und das könnte so ähnlich werden, wenn es dann wirklich klappt, dass ab Sonntag die ersten Geiseln freikommen.

Speaker 2: Wie funktioniert denn so ein Geiselaustausch? Wie war das bei dem letzten Austausch im Jahr 2023?

Speaker 1: Ich weiß, dass das Internationale Rote Kreuz erneut involviert ist. Also ich gehe davon aus, dass das ähnliche laufen wird. Da gab es von Seiten der Hamas einige Forderungen. Die wurden dann von Israel auch so angenommen, beispielsweise, dass in der Zeit keine Drohnen über den Gaza-Streifen fliegen, damit man nicht genau sehen kann, woher die Hamas-Leute kommen, wo also deren Verstecke sind, wo die Geiseln versteckt waren. Da hat Israel mitgemacht. Deshalb kamen die Hamas-Leute auch raus, konnten sich zeigen. Und ich gehe davon aus, dass es ähnlich ablaufen wird, auch wenn inzwischen natürlich die israelische Militärpräsenz viel, viel größer ist. Da kommt es jetzt wirklich so ein bisschen auf diese Details in der Vereinbarung an, die wir so gar nicht kennen. Wie weit werden sich die israelischen Soldaten zurückziehen? Wohin werden sie sich zurückziehen? Wird es so etwas geben wie eine Transitzone, wo dann der Austausch stattfindet? Also das sind alles Informationen, die wir noch nicht haben. Aber wir werden es dann sicherlich sehen. Und es könnte durchaus sein, dass wir am Sonntagnachmittag, vielleicht am Abend dann die ersten Bilder sehen, wie die Geiseln rauskommen, freigelassen werden. Und jeder hier in Israel fragt sich natürlich, in welchem Zustand, körperlichen und psychischen Zustand werden diese Geiseln sein? Und gibt es da schon Antworten oder Mutmaßungen? Also wenn ich mir überlege, dass diese Menschen jetzt seit 15 Monaten gefangen waren, die wurden vermutlich zum Großteil in dunklen Tunnelanlagen gehalten, manche in Häusern. Ich glaube, wir können uns das gar nicht vorstellen, wie es denen geht, was die erlebt haben. Es ist eine Liste mit 33. Wir wissen nicht, ob diese 33 Geiseln, die freigelassen werden sollen, ob das Geiseln sind, die alle noch am Leben sind. Es könnte auch sein, dass darunter bereits tote Geiseln sind, deren Körper sozusagen den Israelis übergeben werden. Das zeigt schon diese Unsicherheit und die Unkenntnis. Und in ganz Israel ist das natürlich das Thema bei den Menschen in den Medien, die Frage, wie wird es den Geiseln gehen? Die kommen, in welchem Zustand sind sie? Was haben die durchgemacht? Ich glaube, das kann sich von uns keiner vorstellen.

Speaker 2: Julio, du hattest vorhin erwähnt, es gibt einen Austausch oder zumindest soll es den geben. Wer kommt denn auf Seiten der Palästinenserinnen und Palästinenser?

Speaker 1: Das sind Häftlinge aus israelischen Gefängnissen, palästinensische Häftlinge. Wobei man sagen muss, dass schon damals, als die ersten 109 Geiseln freigelassen wurden, dann das Dreifache an palästinensischen Häftlingen freigelassen wurden. Das waren welche, die hatten nicht so viele auf dem Kehrpolster, sage ich mal salopp. Inzwischen ist das anders. Also bei den Häftlingen, die jetzt hier freigelassen werden sollen, sind wohl viele, auch schwere Straftäter mit dabei. Das ist natürlich ein Thema, das hier in der israelischen Gesellschaft sehr kontrovers diskutiert wird. Es ist ein Thema, das auch innerhalb der Regierung sehr kontrovers diskutiert wird, weil vor allem die rechtsgerichteten Parteien in diesem Kabinett sagen, das geht nicht. Wir können hier diese schweren Straftäter, die, und da gibt es in Israel einen Begriff, die Blut an den Händen haben. Das heißt, das sind Straftäter, die bei Attentaten Israelis getötet haben. Dass auch solche jetzt freigelassen werden. Das ist ein ganz, ganz sensibles Thema hier. Man kennt die Liste noch nicht von den Häftlingen, die freigelassen werden sollen. Aber man kann davon ausgehen, dass auch schwere Straftäter dabei sind. Und das ist der Preis, den Israel zahlt jetzt in der ersten Phase dieser Vereinbarung, um eben diese 33 Geiseln zu bekommen, dass man eingewilligt hat, dann möglicherweise auch wirklich Leute aus den Gefängnissen rauszulassen, die Israelis getötet haben.

Speaker 2: Beim ersten Geiseldeal, du hast das eben schon beschrieben, da wurden drei palästinensische Gefangene für eine israelische Geisel freigelassen. Ist das jetzt wieder so?

Speaker 1: Nein, das Verhältnis ist unklar. Wir hören hier immer von Hunderten. Das zeigt schon, also wenn wir 33 Geiseln haben und Hunderte sollen freigelassen werden aus den Gefängnissen, Hunderte palästinensische Häftlinge, dann ist das Verhältnis natürlich deutlich größer geworden. Und das ist aber nicht unüblich. Wir hatten hier in Israel einen sehr, sehr bekannten Fall. Da wurde ein Soldat über Jahre im Gazastreifen als Geiseln gehalten, Hilad Schalid. Und als der freigelassen wurde vor einigen Jahren, wurden 1500 palästinensische Häftlinge aus den Gefängnissen entlassen. Und für eine Person 1500 und ja, wer war damals mit dabei? Und da sind wir jetzt direkt beim Gaza-Krieg, nämlich Yachir Sinwar. Das war ja der Mann, die Nummer eins, der Hamas, der Mann, der als Drahtzieher der Terrorattacke vom 7. Oktober 2023 galt. Der wurde damals im Rahmen dieses Austausches freigelassen. Was danach geworden ist, haben wir ja jetzt gesehen.

Speaker 2: Julio, angenommen, der Deal tritt am Sonntag tatsächlich in Kraft, dann beginnt erst mal Phase 1 der Waffenruhevereinbarung. Was weißt du über Phase 2 und 3?

Speaker 1: Da gibt es keine Information. Ich gehe davon aus, dass weitere Geiseln freigelassen werden sollen. Also wir haben ja jetzt die Zahl 33 genannt. 98 Geiseln sind offiziell noch in der Hand der Hamas. Also da gibt es jetzt einen Unterschied von 65 Geiseln. Und da muss man jetzt einfach gucken, welche Geiseln sind überhaupt noch am Leben. Das ist ja die nächste Schwierigkeit. Und welche anderen Tauschverhältnisse sind dann möglich? Geht es weiterhin um die palästinensischen Häftlinge? Irgendwann sind nämlich wirklich schwere Terroristen auch an der Reihe. Die wird Israel, glaube ich, nicht freilassen in die Westbank, weil dann exportiert man möglicherweise den Terror aus den israelischen Gefängnissen in die Westbank, also ins Westjordanland. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Israel da mitmachen wird. Also was genau verhandelt wird, wissen wir nicht. Man kann nur mutmaßen, dass es möglicherweise weiter in diese Richtung geht. Vielleicht gibt es ein Angebot an die Hamas-Leute, dass sie sich aus dem Gaza-Streifen in irgendein arabisches Land ins Exil begeben. Davon war auch immer die Rede. Allerdings hat die Hamas klar gesagt, sie will das nicht. Sie will weiter im Gaza-Streifen bleiben und sie will auch nach einem Kriegsende, wenn das denn mal kommen sollte, will sie weiter in der Verwaltung des Gaza-Streifens mit dabei sein. Das wollen natürlich die Israelis nicht. Also das zeigt schon, wie kontrovers das Ganze diskutiert wird. Und man muss jetzt einfach abwarten, ob überhaupt diese erste Phase erhalten wird.

Speaker 2: Ich weiß nicht, ob das zu weit in die Zukunft gedacht ist, aber wenn du jetzt einmal auf diese Situation schaust und angenommen, dieser Deal würde jetzt angenommen werden, welche Wirkung geht davon aus, auch für die benachbarten Länder, mit denen Israel ja teilweise auch noch in kriegerischen Auseinandersetzungen ist?

Speaker 1: Also das würde sehr, sehr viel Ruhe in diese Gesamtgemengelage, in diesen Gesamtkonflikt bringen, weil ja auch die Hisbollah, mit der es ja derzeit auch eine Waffenruhe gibt, noch bis Ende des Monates, die hatte ja gesagt, sie hatte ihre Angriffe gekoppelt eben an einen möglichen Frieden in Gaza. Das heißt, sie hatte gesagt, wir stellen unsere Angriffe auf Israel ein, wenn es zu einer Waffenruhe im Gaza-Streifen kommt. Die könnte es nun geben. Also da gibt es auch gute Möglichkeiten, dass die Waffenruhe mit dem Norden auch weiterhält. Und auch die Huthi aus dem Jemen, die ja immer wieder hier auch mit Raketen Israel angegriffen haben, die haben auch gesagt, dass sie in dem Moment, wo es eine Waffenruhe gibt, durchaus aufhören würden, Israel zu beschießen. Also das hängt alles miteinander zusammen. Und es würde schon sehr, sehr viel Ruhe in diesen Konflikt bringen. Und man kann wirklich nur hoffen, dass diese erste Phase gut funktioniert. Denn psychologisch gesehen, wenn die erste Phase gut funktioniert, dann ist es natürlich sehr, sehr schwierig für alle Beteiligten zu sagen, sie kehren zurück zum Krieg. Das würde international wohl kaum jemand verstehen.

Speaker 2: Julio, warum kommen wir jetzt einem Waffenstillstand so nahe? Also der Überfall der Hamas ist ja schon 15 Monate her. Die kriegische Auseinandersetzung läuft auch schon viele, viele Monate über ein Jahr. Warum jetzt?

Speaker 1: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass viele, viele Punkte zusammengekommen sind. Wenn wir uns die militärische Lage angucken, die ist irgendwie sehr, sehr unklar. Zwar hat Israel den gesamten Gazastreifen nahezu wirklich in Trümmern gebombt. Man kann es nicht anders auch sagen. Aber auf der anderen Seite erleben wir das auch nach 15 Monaten und dieser deutlichen militärischen Überlegenheit, die Hamas immer noch in der Lage ist, Raketen auf Israel zu schießen, dass sie immer noch in der Lage ist, sich neu zu formieren. Wir haben sogar gehört, dass sie im Norden des Gazastreifen sich wieder stärker formiert hat, dass neue Leute rekrutiert worden sind von der Hamas. Das heißt, dass Israel sieht, dass militärisch nicht alles möglich ist. Das ist das eine. Das andere ist der starke internationale Druck, der herrscht. Ich habe es vorhin schon so ein bisschen angedeutet, US-Präsident Biden und seine Leute, die haben wirklich seit Mai enormen Druck gemacht. Die Grundzüge hat Biden im Mai veröffentlicht und seitdem hat die US-Regierung Druck gemacht und der Druck ist auch angekommen.

Speaker 5: Es ist ein sehr guter Nachmittag. Denn am Ende kann ich einen Ausstieg eröffnen und der Geiseldeal ist erreicht worden zwischen Israel und Hamas. Die Kämpfe in Gaza werden aufhören und bald wird der Geiseldeal in ihre Familien zurückkehren.

Speaker 1: Dann haben wir den künftigen US-Präsidenten Trump. Der hat gesagt, wenn bis zu seinem Amtsantritt am kommenden Montag der Geiseldeal nicht sitzt,

Speaker 6: dann wird hier im Nahen Osten die Hölle losbrechen. Inwieweit diese Drohung jetzt eine Wirkung hatte, weiß ich nicht. Aber er hat schon sehr, sehr deutlich gesagt, dass er sich auch ein Ende des Krieges wünscht.

Speaker 1: Und ja, die Hamas, glaube ich, sieht momentan, weil sie eben auch so viel Druck gemacht hat, dass sie sich auch ein Ende des Krieges wünscht. Und ja, die Hamas, glaube ich, sieht momentan, weil sie eben auch so in die Defensive gekommen ist, im Grunde nur die eine Möglichkeit, dass sie über irgendeine Vereinbarung sich vielleicht wieder neu formieren kann, sich neu organisieren kann, dass sie am meisten herausholen kann für sich vielleicht wirklich das, was sie sich vorstellt, dass sie weiter im Gazastreifen agieren kann. Das kann ich mir nicht vorstellen, dass der Gazastreifen, sprich, ein der klaren Kriegsziele der Israel ist. Also ich glaube, da ist vieles zusammengekommen. Und all das hat die Zeit jetzt reif gemacht. Auch der starke Druck hier in Israel von den Angehörigen und den Familien der Geiseln, die inzwischen tagtäglich auf die Straße gehen. Auch das ist nicht zu unterschätzen. Und ja, möglicherweise all dies zusammen hat dazu geführt, dass genau jetzt es möglich war, dass man zumindest versucht, so eine Waffenruhe zu installieren.

Speaker 2: Aber wenn du das so beschreibst, ja, die Hamas ist eigentlich militärisch nicht geschlagen, obwohl im Gazastreifen alles kaputt ist, die Geiseln werden jetzt offenbar teurer zurückgetauscht, unter Umständen sogar getötet zurückgetauscht, wenn man das jetzt vergleicht sozusagen mit dem Beginn der Offensive, dann sind eigentlich zentrale Kriegsziele Israels überhaupt nicht erreicht.

Speaker 1: Genau, und das macht mich so skeptisch, Benedikt, dass eben diese Kriegsziele zum Teil überhaupt nicht erreicht worden sind. Immerhin ein Kriegsziel, nämlich die Rückführung der Geiseln, das wird zum höheren Maße erreicht, indem man jetzt von den Verbliebenen nochmal 33 ins Land bekommt. Dann sind es zumindest schon weniger Geiseln. Aber die ganz klare Aussage, die Hamas zu zerschlagen, das ist nicht erreicht worden. Und das werfen eben viele aus dem rechten Lager, Ministerpräsident Netanjahu vor, die sagen, der kann eigentlich nicht einfach jetzt so eine Waffenruhe vereinbaren, ohne dass wir unsere Kriegsziele erreicht haben. Also das wird noch ein sehr, sehr harter innenpolitischer Kampf, glaube ich, für Benjamin Netanjahu. Er hat es immer wieder geschafft, seine Leute dann doch irgendwie an der Hand zu behalten. Mal gucken, was er sich jetzt einfallen lässt. Aber klar ist, diese Vereinbarung widerspricht einigen der Kriegsziele.

Speaker 2: Ganz klar. Und kann diese Vereinbarung im politischen Interesse Netanjahus liegen? Also du hast hier mal bei FKM gesagt, dass es unter Umständen auch so sein könnte, dass er selbst gar kein politisches Interesse an einem schnellen Ende des Krieges hat.

Speaker 1: Genau, das ist ja auch einer der Punkte, die mich immer dazu bringen, zu sagen, ich bin so skeptisch. Weil er müsste, um sozusagen in der Öffentlichkeit als der strahlende Held wahrgenommen zu werden, schon auch irgendwo seine Kriegsziele erreichen. Und ich habe es eben gesagt, das wäre mit der Waffenruhe zumindest nicht der Fall. Von daher bin ich so skeptisch. Aber es gibt für Netanjahu viele andere politische Möglichkeiten. Auch wenn die Rechten ihn jetzt verlassen würden, wenn die rausgehen, haben die größten Oppositionsparteien schon gesagt, sie würden, auch wenn sie Netanjahu, wie es Jair Lapid gesagt hat, für einen schlechten Ministerpräsidenten halten, für jemanden, der Israels Zukunft riskiert, würden sie, um eben diesen Deal möglich zu machen, mit ihm eine Koalition eingehen. Also es könnte sein auch, ich habe es eben gesagt, dass es innenpolitisch sehr hoch hergehen könnte in der nächsten Zeit, dass die rechten Parteien aus Protest gegen so eine Vereinbarung rausgehen und andere Parteien, gemäßigte Parteien, Netanjahu dann unterstützen. Auch das ist möglich. Wie gesagt, Benjamin Netanjahu hat sich immer als Politfuchs erwiesen. Er hat immer einen Ausweg gefunden, dass er am Ende gut dastand. Das traue ich ihm auch dieses Mal zu.

Speaker 2: Aber meinst du nicht, bei einem wirklichen Ende des Krieges oder einem sehr langfristigen Waffenstillstand, dass dann auch nochmal die Suche danach losgeht, wer eigentlich dafür politisch verantwortlich ist, dass die Hamas Israel überfallen konnte?

Speaker 1: Das wird auf jeden Fall kommen. Benjamin Netanjahu hat das Ganze bis heute rausgezögert, mit der Begründung, erst wird der Krieg geführt, dann reden wir über die Verantwortlichkeiten vom 7.10. Er spielt hier auf Zeit, das ist völlig klar. Aber der Mann muss sich in zwei Jahren Wahlen stellen und ich kann mir nicht vorstellen, dass er dann spätestens nochmal zum Ministerpräsidenten gewählt wird. Es könnte sein, dass Israel noch zwei Jahre Benjamin Netanjahu an der Spitze als Regierungschef hat, dann aber wird er neu gewählt. Und möglicherweise wird erst dann auch wirklich die Verantwortlichkeit des 7.10. genau untersucht.

Speaker 2: Julio, vielen, vielen Dank. Wir bleiben gespannt und wir sprechen uns bestimmt bald wieder.

Speaker 1: Ich glaube auch, dass das nicht das letzte Elfkeim war zum Thema Nordost. Wir haben eine Menge, Menge zu berichten für euch.

Speaker 2: Wenn ihr euch auf dem Laufenden halten wolltet, wie es aktuell in Israel und im Gazastreifen weitergeht, dann schaut auf tagesschau.de. Dort findet ihr Berichte aus dem ARD-Studio in Tel Aviv und natürlich auch von unserem Korrespondenten Julio Segador. Wenn ihr euch jetzt denkt, das war eine gute, interessante Folge, dann empfehlt uns gerne weiter. Zum Beispiel bei euren Freundinnen und Freunden und natürlich auch bei eurer Familie. Am Montag geht es dann bei Elfkeim um die USA. Denn dann wird Donald Trump als 47. Präsident vereidigt und er will hoch hinaus, zum Mond. Und sein Berater Elon Musk, der will gleich auf den Mars. Wir erzählen euch am Montag, ob die nächsten vier Jahre unter US-Präsident Donald Trump zum neuen Zeitalter der Raumfahrt werden. Folgenautor ist Stefan Beuthing. Mitgearbeitet hat Nicole Ahles. Produktion Christine Frey, Laura Picciano und Jürgen Kopp. Redaktionsleitung Lena Gürtel. Redaktionsleitung Lena Gürtler und Fumiko Lippe. Elfkeim ist eine Produktion von BR24 und NDR Info. Mein Name ist Benedikt Strunz. Elfkeim ist am Montag zurück. Bis dahin, ciao, macht's gut.

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