Irene Butter's Holocaust Survival and Lifelong Advocacy
Explore Irene Butter's journey from surviving the Holocaust to becoming an influential advocate for remembrance and reconciliation.
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Holocaust überlebt - und jetzt Irene Butters Blick auf die Welt
Added on 01/27/2025
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Speaker 1: Sie hat das schlimmste Verbrechen der Menschheit überlebt und heute steht sie vor der Frage, was tun, damit sich Geschichte nicht wiederholt? Irene Batta ist eine der wenigen, die heute noch vom Holocaust berichten kann. NDR Reporterin Caroline Schmidt begleitet sie schon lange und erzählt uns heute, wie Irene Batta überleben konnte und warum sie mit Sorgen auf die Welt von heute blickt. Ihr hört 11KM, der Tagesschau-Podcast, ein Thema in aller Tiefe. Mein Name ist Jasmin Brock. Heute ist Montag, der 27. Januar, internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts.

Speaker 2: Irene Batta ist 94 Jahre alt. Sie ist eine jüdische Holocaust-Überlebende. Irene lebt in der Nähe von Detroit in einem sehr hübschen kleinen Universitätsstädtchen namens Ann Arbor. Da war sie Professorin an der Universität in Michigan. Ich kenne Irene ja seit 15 Jahren, schon eine ganze Weile und ich habe die dann in Washington getroffen. Das Holocaust Memorial Museum ist das größte Holocaust-Museum der Welt und die haben ganz viele Gegenstände von Überlebenden. Die sammeln da, die bewahren die auf. Wir waren da, weil sie ihre Decke dort abgeben wollte, dort in Verwahrung geben wollte. Diese Decke, die sie durch ihr ganzes Leben begleitet hat. Diese Decke ist ungefähr 90 Jahre alt, sie ist pink bzw. eigentlich so verwaschen orange eigentlich eher. Also Irene nennt die immer pink. Also genau, es ist halt eine alte Decke, relativ gut erhalten, aber sehr alt.

Speaker 3: Meine pinke Decke, die ich als junges Kind hatte, habe ich vergessen, als ich drei oder vier Jahre alt war und sie kam mit mir durch die Camps, die Konzentrations-Camps und ich habe sie immer noch und es war wie meine Sicherheitsdecke.

Speaker 2: Die Decke war irgendwie immer, lag auf dem Sofa oder in irgendeinem Schrank und keiner wusste, welche Bewandtnis sie hat. Das ist eine Decke, die ihr Wärme und Sicherheit gegeben hat, in Momenten, wo ganz wenig Wärme und Sicherheit da war. Die meisten Kinder sind sofort in den Konzentrationslagern vergast worden und Irene gehört zu den wenigen Kindern, die überlebt haben und dass sie überleben konnte, da mussten einige Wunder geschehen, so erzielt sie das immer und das ist ein großes Glück, dass sie das geschafft hat. Irene wurde 1930 in Berlin-Wilmersdorf als Irene Hasenberg geboren, also die Hasenbergs lebten damals in einer sehr schönen Altbauwohnung, damals war das noch das ganze Stockwerk, das die Familie hatte. Der Vater war Banker, angestellt an der Bank ihres Großvaters und dort lebte sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder Werner.

Speaker 3: Wir haben viel gelacht und meine Mutter war vielleicht ein bisschen strenger als mein Vater.

Speaker 2: Sie war das Lieblingskind von ihrem Papa und war sehr, sehr glücklich, also es war eine sehr glückliche Familie, so hat Irene das als Kind empfunden.

Speaker 3: Und Sonntagmorgen hat mein Großvater immer das Frühstück gemacht und meine Eltern, die konnten dann schlafen länger und er ist früh aufgewacht und hat Frühstück für meinen Bruder und mich gemacht. Manchmal hat er, wie heißt das, Pancakes gemacht.

Speaker 1: 1930 ist sie geboren und trotz ihrer sehr unbeschwerten und glücklichen Kindheit, wie sie sie erinnert, ist das ja in einer Zeit, wenige Jahre vor der Machtergreifung durch Adolf Hitler. Wann oder wie merken die Hasenbergs denn ganz persönlich, dass die Stimmung dann gegenüber Juden und Jüdinnen kippt?

Speaker 2: Wenn sie davon erzählt, dann erzählt sie davon halt aus der Kinderperspektive. Also für Kinder war das dann so, dass plötzlich Hakenkreuzflaggen in den Straßen hingen und sie wurde irgendwann dann nicht mehr zu Kindergeburtstagen eingeladen, wo sie vorher eingeladen war.

Speaker 3: Einmal in meiner Klasse, das kann ich mich noch erinnern, ein Junge hatte Geburtstag und der hat alle Schüler in der Klasse eingeladen, aber ein anderes Mädchen und ich waren nicht eingeladen und wir waren die einzelnen jüdischen Schüler in der Klasse.

Speaker 2: Die Mutter versucht dann irgendwie zu Hause einen Kuchen zu backen und das irgendwie irgendwas zu Hause zu machen, dass das für dieses Mädchen nicht so schlimm ist, aber natürlich merkt sie das. Ihre Eltern werden immer stiller und stiller und führen immer ernstere und ernstere Gespräche und irgendwann ist ihr Vater dann viel zu Hause, weil er keine Arbeit mehr hat. Also die Bank wurde enteignet, der Großvater hat die Bank verloren und der Vater hat dann keine Arbeit mehr und das war dann der Moment, wo Jon Hasenberg, ihr Vater, wo er dann beschlossen hat, er wird auswandern und er ist dann nach Amsterdam gegangen.

Speaker 1: Wie ist die Situation für die Hasenbergs dann dort, als sie dort ankommen?

Speaker 2: Sie sind da hin mit dem Gefühl, 1937, sie sind jetzt in Sicherheit und es sind ganz viele deutsche Jüdinnen und Juden nach Amsterdam gegangen, auch die Franz, Anne Frank, die wohnten auch im selben Viertel wie Irene und diese Jahre waren sehr schön. Die haben als Kinder sehr schnell niederländisch gelernt und ja, sie hatte Freundinnen und Freunde. Das war, das beschreibt sie immer als in eine sehr schöne Zeit.

Speaker 1: Aber 1940 überfällt die Wehrmacht ja dann, acht Monate nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, die Niederlande und auch Belgien und Luxemburg und die Niederlande werden besetzt. Was passiert dann mit den Hasenbergs und mit Irene?

Speaker 2: Ja, Irene kann sich auch noch an die Bombardierung erinnern.

Speaker 3: Einmal in der Nacht, da sind die Fenster in unserem Zimmer, die sind gebrochen und die Scherben waren in meinem Bett.

Speaker 2: Kann man sich vorstellen, großer Schreck. Und natürlich, jetzt sind die auf einmal im Land, in dem man sich sicher geglaubt hat, aber erstmal haben die Nazis tatsächlich, die haben den Holocaust in jedem Land ein bisschen anders betrieben und in den Niederlanden haben die das sehr, sehr erstmal, die haben nicht die Leute zusammengetrieben und zusammengeschlagen, sondern die haben ganz langsam die Gesetze verändert.

Speaker 3: Wir durften nicht in Museen gehen, in Kinos, in Parks, die waren für Juden verboten, Bahn und Züge durften wir nicht mehr fahren als Juden. Wir mussten auch einen Stern tragen, der jüdische Stern, musste immer auf dem Mantel oder andere Kleider, musste immer genäht sein, so dass jeder wusste, wer jüdisch ist und dann alle jüdischen Menschen mussten das Fahrrad abgeben. Also konnten wir nirgends hingehen, allein, wo man hinlaufen kann.

Speaker 2: Die wurden immer mehr isoliert und dann haben die relativ schnell ab 1942 über 100.000 holländische Juden, niederländische Jüdinnen und Juden deportiert. Das ging ja sehr, sehr schnell, also die wussten, wo die wohnten, das war 1942 ging die Deportation los und im Juni 1943 mussten auch die Hasenbergs die Koffer packen und wurden nach Westerbork ins Durchgangslager gefahren mit ganz vielen anderen Jüdinnen und Juden in einem sehr engen Viehwaggon. Westerbork, das liegt noch in den Niederlanden? Das liegt genau an der deutsch-niederländischen Grenze und das ist Durchgangslager, das klingt jetzt irgendwie wie so ein kleiner Ort, das war so eine halbe Stadt.

Speaker 3: Ja, die ersten Eindrücke waren furchtbar. Da waren, ich weiß nicht wie viele, 100 Juden, die da angekommen sind mit demselben Zug und da musste man erst registrieren und danach mussten wir die Lausen ja entläusen, mussten wir alle Kleider ausziehen und da waren wir in einem großen Saal mit vielen nackten Frauen und ich glaube, das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine nackte Frau gesehen habe und die Menschen, die Läuse hatten, die haben die ganzen Haaren abrasiert, ja, alles und das war auch sehr peinlich, furchtbar.

Speaker 2: Es war kein Todeslager, es war ein Durchgangslager, mitten im Lager gab es Gleise und einmal die Woche fuhr ein Zug ein, leer und der stand dann da und jeden Montagabend gingen dann plötzlich die Lichter an und die Namen wurden verlesen, es gab Listen mit Namen von Menschen, die nach Auschwitz gebracht werden sollten und dann fuhr am Dienstag der Zug mit vielen Menschen los, die nach Auschwitz gebracht wurden. Es erzählt auch Irene immer, sie wussten, es ist niemand wiedergekommen und Irene und ihre Familie, also sie standen auch auf diesen Auschwitzlisten, auf den Todeslisten sozusagen und dann hat ihr Vater es aber geschafft, dass sie von diesen Listen runtergekommen sind. Wie? Sie haben sich natürlich überlegt, was machen wir denn jetzt, wie kommen wir denn jetzt aus dieser Situation heraus und dann hat ein Freund auf der Straße, so erzählt Irene das immer, ein Freund auf der Straße getroffen, der gesagt hat, ich kenne da einen Mann in Stockholm und schreibt den ein paar Zeilen, schickt Fotos, der weiß genau, was er machen soll.

Speaker 1: Ganz kurz, also auf der Straße getroffen, das heißt, das war noch vor dem Lager Westerbork, das war noch in Amsterdam?

Speaker 2: Genau, dieser Mann in Stockholm war der äquatorianische Botschafter und der hat falsche Pässe ausgestellt, falsche äquatorianische Pässe, der hat deswegen auch seinen Job verloren, solange die in Amsterdam waren, kamen und kamen diese Pässe nicht und in Westerbork traf plötzlich ein Paket ein mit diesen Pässen und Johann Hasenberg ist dann sofort zur Lagerleitung gegangen und hat dafür gesorgt, dass sie von dieser Auschwitz-Liste runterkommen auf eine andere Liste und diese andere Liste, das ist eine Liste, die war für den Austausch da, deswegen waren sie dann Austauschjuden, die Idee dahinter war, ausländische Jüdinnen und Juden gegen Devisen oder Waffen oder eben Deutsche im Ausland auszutauschen.

Speaker 3: Und da hat man uns erzählt, wir gehen jetzt in ein anderes Camp in Deutschland, Bergen-Belsen, das ist ein Austausch-Camp und das ist ein besseres Camp wie Westerbork, wahrscheinlich sind wir nicht lange in dem Camp, weil wir dann ausgetauscht werden sollen, also man hat es alles sehr positiv beschrieben.

Speaker 2: Und die waren guter Dinge, die waren richtig fröhlich, also sie erzählt, dass sie Witze gemacht haben im Zug und dachten so, ja sie hatten Hoffnung, ja und dann kamen sie in Bergen-Belsen an und stellten in dem Moment, als sie da ankamen, fest, das ist hier kein guter Ort. Das war Februar 44, das muss ja sehr kalt gewesen sein, Februar 44 und ihre Irne war gerade 13 Jahre alt geworden.

Speaker 3: Es war fürchterlich, wie wir da angekommen sind, da waren Nazis und die haben geschrien und wir mussten aus dem Zug aussteigen und da waren Männer von der Wehrmacht mit großen Hunden, German Shepherds.

Speaker 2: Und dann geht man halt eine ganze Weile von dieser Rampe durch den Wald, durch die Halle in dieses, also zu dem Lager selber, das war sehr groß und da waren Stacheldrahtzäune und dahinter ausgemergelte Gestalten, die da grassierten Seuchen, die Leute hatten viel zu wenig zu essen, die wurden geschunden und ihnen war klar, das ist hier kein guter Ort. Ja, wir sind immer noch zusammen, wir sind eine Familie, ja wir tragen unsere Kleidung, wir dürfen unsere Koffer behalten, weshalb sie ja auch diese Decke immer noch hat, das ist ja auch was ganz Besonderes, dass sie nicht alles abgeben mussten, aber das ist hier kein guter Ort.

Speaker 3: Man hat ein Stück Brot bekommen für einen ganzen Tag, wir waren immer hungrig. Ich habe gesehen, dass Menschen gestorben sind, im Konzentrationslager ist alles verändert und man hat kein normales Leben.

Speaker 2: Der Krieg schreitet voran, die Versorgung bricht zusammen und natürlich bricht die auch in diesem Konzentrationslager im Winter 1944, 1945 zusammen, dann kommen noch die ganzen Todesmärsche aus Auschwitz, das Lager ist völlig überfüllt und das Massensterben setzt ein und Irene und ihre Eltern denken die ganze Zeit, ja wir sind doch hier für einen Austausch und es kommt nur zu ganz wenig Austauschen, eine Handvoll Züge, die da vier, fünf Mal kommt es wirklich zu Austauschen, dass Juden und Juden ins Ausland in die Freiheit dürfen, aber sie sind nie dabei und dann auf einmal im Januar, als wirklich da die Leichen, schon immer mehr Leichen in diesem Lager liegen, auf einmal kommt die Nachricht, es gibt einen Amerika-Austausch, bitte alle melden und da melden sie sich dann. Das ist die Situation, also ihr Vater ist inzwischen, der ist auch gerade in der Zeit nochmal zusammengeschlagen worden, der ist sehr, sehr krank, die Mutter ist sehr krank, die können kaum gehen.

Speaker 3: Als unsere Eltern kranker und kranker geworden sind und schwacher und wir dachten, dass sie es nicht überleben würden.

Speaker 2: Irene erzählt das so, dass da 7000 in Frage gekommen wären und 103 kamen auf den Zug und sie gehören zu den 103. Sie dürfen dann auf diesen Zug, also es geht dann tagelang durch Deutschland, kreuz und quer.

Speaker 3: Mein Vater ist gestorben auf der Zugfahrt, die Nacht vom zweiten zum dritten Tag, also er musste auf die Toilette gehen und ich musste ihm helfen, dahin zu laufen und dann als wir zurückgingen in unser Abteil, er sagte, er sagte, er kann nicht weiterleben und da sagte ich, wir sind jetzt beinahe in der Freiheit, du musst weiterleben und dann sagte er, er kann nicht und das war sein letztes Wort.

Speaker 2: Das war ein Zug des Roten Kreuzes, also der war aber trotzdem von Nazis organisiert, von SS-Leuten und die haben den da einfach auf eine Bank gelegt in Biberach. Für Irene und ihre Familie ging das dann weiter in die Schweiz, ihre Mutter und ihr Bruder waren sehr, sehr krank, die Mutter war nicht mehr transportfähig, die kam in ein Schweizer Krankenhaus in St. Gallen, auch der Bruder und Irene musste weiterreisen, die hat dann gesagt, bitte, ich möchte bei meiner Familie bleiben, bitte nicht, bitte nicht, man muss sich vorstellen, das ist ein Kind von 14 Jahren, das hat gerade einen Vater verloren und dann haben die gesagt, du musst jetzt weiter, du musst weiter, ganz alleine. Eine Hilfsorganisation, die macht dann einen Onkel von Irene in New York ausfindig, der sich auch bereit erklärt, ihren Visum zu beschaffen und sie aufzunehmen und dann Ende des Jahres konnte sie dann ein Schiff besteigen und kam so nach Amerika, nach New York. Im Dezember 1945 kommt sie in New York an.

Speaker 1: Da kommt also Irene Hasenberg, 14 Jahre und hat das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte überlebt. Sie kommt ohne Eltern, ohne Bruder dort an, ohne Ab und Gut, aber mit vielen unvorstellbaren Erinnerungen. Wie reagiert die, in Anführungszeichen, neue Familie denn darauf?

Speaker 2: Also man muss sich vorstellen, die kannte sie gar nicht und dann sitzen die irgendwann abends am Abendbrotstisch und Irene erzählt das, hat mir das mal so erzählt, sie wollte dann ins Bad und hat dann so eine automatische Handbewegung gemacht, hat sich irgendwie die Hosenbeine hochgerollt und dann sagte der Onkel, was machst du denn da und dann sagte sie ja, das haben wir im Lager immer so gemacht, da war halt alles dreckig und dann hat man eben, um die Hose zu schützen, hat man eben die Hosenbeine hochgerollt und dann hat er zu ihr gesagt, du bist jetzt aber in Amerika, du bist jetzt hier, vergiss die Vergangenheit, das ist vorbei und rede darüber nicht mehr.

Speaker 3: Es war wichtiger, ein neues Leben zu beginnen und sich an die neue Kultur zu gewöhnen und auf die Schule zu gehen und neue Freunde zu finden, aber auf der anderen Seite war es schmerzhaft, dass niemand Interesse hatte, um darüber zu hören.

Speaker 2: Aber gleichzeitig ist halt auch diese Lebenslust und dieser Lebenswille und diese Freude jetzt endlich ins Leben starten zu dürfen und also sie geht auf die Schule, sie studiert, also in ihrem Studium lernt sie dann Charlie kennen, Charlie Butter und die heiraten dann auch sehr bald. Daher der neue Nachname Butter. Sie wird Professorin, sie bekommt Kinder und ja und befolgt die Anordnung ihres Onkels und redet nicht darüber.

Speaker 1: Sie redet also gerade in den ersten Jahren oder Jahrzehnten mit niemandem oder fast niemandem über das, was sie erlebt hat in Bergen-Belsen, in Westerbork. Aber heute ist sie ja nicht nur Zeitzeugin, das ist sie ja so oder so, aber sie ist ja heute auch eine aufklärende Zeitzeugin, die sehr wohl mit ihrer Geschichte in die Öffentlichkeit und an Schulen geht. Wie ist es zu diesem Wandel gekommen für Irene Butter?

Speaker 2: Ein Schlüsselmoment war, als ihre Tochter, die war da zwölf, als ihre Tochter auf sie zukam nach der Schule und sagte, Mama, ich soll über den Holocaust reden und dann hat sie zu Irene gesagt, kannst du nicht mitkommen und mein Visual Aid sein? Sie sollte erzählen, das illustrieren, was da wirklich passiert ist. Und Irene hat einen totalen Schock bekommen und sie hat dann die ganze Nacht nicht geschlafen und hat sich Sorgen gemacht, lachen die über mich, machen die mich runter, was passiert jetzt und dann ist sie sehr, sehr aufgeregt in diese Klasse gegangen und hat ihren ersten Vortrag gehalten dazu und die Reaktion war ganz anders, sie haben ihr Gebann zugehört und sind sehr empathisch mit ihr umgegangen und das war so der Punkt, wo sie gemerkt hat, ich kann darüber reden. Irene und ich unterhalten uns manchmal auf Deutsch und manchmal auf Englisch, das hängt vom Thema ab und manchmal von der Stimmung. Das ist dieser Schlüsselmoment, der andere Grund ist aber, der Schriftsteller und Holocaust Überlebende Elie Wiesel, der hat ein Buch geschrieben und hat dann immer deutlicher und immer bestimmter die Überlebenden aufgefordert, Zeugnis abzulegen, also es gibt ein ganz berühmtes Zitat, das zitiert Irene immer in solchen Momenten, also wenn du in den Lagern warst und die Luft gerochen hast und die Stille der Toten gehört hast, dann ist es deine Pflicht Zeugnis abzulegen und wenn du das nicht tust, dann tötest du die Toten ein zweites Mal. Irene empfindet es als Pflicht, das sagt sie auch immer, als Pflicht zu erzählen, weil sie sagt immer, sechs Millionen Millionen können nicht erzählen, sie können nicht mehr reden, aber ich kann reden und das ist jetzt meine Pflicht, also sie nimmt, was Elie Wiesel gesagt hat, das hat sie sehr sehr ernst genommen und das ist ihr Grund, warum sie redet.

Speaker 3: Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau.

Speaker 4: Irene Butter hat in der Deutschen Botschaft in Washington das Bundesverdienstkreuz erhalten für ihren Beitrag zur Erinnerung an den Holocaust und die Versöhnung der Völker.

Speaker 1: Das war im letzten Jahr, im Juni 2024.

Speaker 2: Irene hat dazu ihre ganzen Freundinnen und Freunde, also engsten Freundinnen und Freunde und Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter eingeladen, so ungefähr 25 Personen und wir kamen angereist, mehr oder weniger aus aller Welt, um mit Irene diesen wichtigen Moment für sie zusammen zu feiern.

Speaker 3: Es ist eine große Ehre und ich bin sehr dankbar für die Erkenntnis, weil das Hauptthema of my work is reconciliation and that's so important in this world today, where people are so divided.

Speaker 2: Diese ganze Anstrengung, um zu warnen, um zu erzählen, damit es eine bessere Zukunft gibt und nie wieder sowas vorkommt und um an die Opfer zu erinnern, an die Toten zu erinnern, was sie so als wichtigste Aufgabe ansieht, es ist für sie wunderbar gewesen, dass das anerkannt wird, dass die Bundesrepublik diese Arbeit, dieses Land, aus dem sie vertrieben worden ist, in dem sie so schreckliche Dinge erlebt hat, dass dieses Land das anerkannt hat und wenn man die Filmaufnahmen sieht, dann zittert sie auch in diesem Moment, also man merkt wirklich, wie berührt und bewegt sie ist und der Botschafter bei der Laudatio, dem konnte plötzlich nicht weiterreden, der war so bewegt, es war ein ganz, ganz bewegender Moment.

Speaker 5: Besonderen Verdienste verleihe ich Frau Professorin Irene Hasenberg-Dotter, das Verdienstkreuz erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Es ist mir eine Ehre.

Speaker 2: Ja, also das war für sie ein Moment großer Freude und den hat sie sich nicht nehmen lassen, sie war in dem Moment einfach glücklich und wir haben das gefeiert und gleichzeitig war allen klar, die da waren, ihre Familie lebt zum Teil in Israel und sie ist voller Sorge, was mit Israel passiert und was mit ihrer Familie passiert, also ihre Tochter, ihre Enkel und die Urenkel, ein Teil ihrer Enkel, also sie hat auch noch einen Sohn und der hat auch noch Kinder, aber ihre Tochter, Enkel und Urenkel leben in Israel.

Speaker 6: Im Morgengrauen des 7. Oktober vergangenen Jahres überfielen hunderte Kämpfer der militant-islamistischen Hamas fast 50 israelische Dörfer.

Speaker 7: Israel wird seit dem frühen Morgen massiv von der radikal-islamischen Hamas angegriffen. Militante Kämpfer der Terrororganisation drangen auf israelisches Staatsgebiet vor.

Speaker 2: Also das ist etwas, was sie unglaublich erschüttert, was da abläuft, sowohl die Anschläge, aber auch die Reaktion auf die Anschläge, sie hat sich im vergangenen Jahr große, große Sorgen um Israel gemacht. Also diese Momente, wo, also nach den Anschlägen, das waren immer Momente, wo man merkte, wie anstrengend das für sie ist, also sie sah an diesen Tagen sehr schlecht aus. Das Strahlen war fast erloschen, also die Vergeltungsschläge, aber auch die Angriffe auf andere Staaten. Sie hat das Gefühl, Israel begeht Selbstmord, es schlägt in alle Richtungen, es teilt überall hinaus. Und wird Israel das überstehen? Da war sie sich nicht sicher in vielen Momenten und Israel, das ist für Judinnen und Juden in aller Welt, kann man glaube ich so pauschal sagen, eine Art sicherer Hafen, safe haven, sagte Irene immer wieder.

Speaker 3: Für mich selbst als Jude fühle ich, dass die Existenz Israels sehr wichtig, sehr wichtig ist, weil vorher Juden nie einen Ort hatten, wo sie, wenn sie verhaftet wurden. Und das war der Grund, glaube ich, um eine Nation zu erstellen, eine jüdische Nation, so dass sie einen sicheren Hafen hätten und wenn es Verhaftung gab, konnten sie dort hingehen. Es gab keine Grenzen für Juden, um nach Israel zu kommen. Also fühle ich mich auch, ich will Israel nicht zerstört, auf dem Gesicht der Erde genommen werden, aber ich empfinde nicht, was sie tun. Ich denke, was sie tun, ist selbstzerstörernd.

Speaker 1: Ja, der Terror vom 7. Oktober 2023, der wurde ja auch damals schon ganz schnell in einen historischen Kontext gesetzt, einen, der sehr eng mit Irene Butters Geschichte verknüpft ist, denn dass über 1200 Menschen von der Hamas in Israel getötet wurden, das hat diesen Tag zum größten Massenmord an Juden und Jüdinnen seit dem Holocaust gemacht, seit der Schoah. Und das hat genau wie der folgende Gaza-Krieg, bei dem ja mittlerweile auch über 45.000 Menschen ums Leben gekommen sind, das hat ja viele Menschen weltweit bewegt, auch in den USA, wo Irene Butter ja heute lebt. Was sind denn Ihre Gedanken, wenn sie die US-Nachrichten dazu verfolgt, also auch dazu, was all das mit den Menschen in den USA macht?

Speaker 2: Irene hat natürlich beobachtet, dass der Antisemitismus sehr stark zunimmt an den Universitäten, die Palästinakamps und ja, also diese angeheizte Stimmung weltweit. Irene hat aber auch eine ganz besondere Perspektive darauf, auf diese ganze Situation, nicht nur, weil ihre Familie in Israel lebt, sondern auch, weil sie eine eine Frauengruppe hat, die heißt CETUNA. Die gibt es seit 25 Jahren und diese Frauengruppe besteht aus palästinensischen Amerikanerinnen, also mit palästinensischen Migrationshintergrund und Jüdinnen. Und die treffen sich seit 25 Jahren, um miteinander zu sprechen und um in Gespräch zu sein. Und sie praktiziert das in ihrer Frauengruppe und sie hören einander zu. Und daher ist für Irene das eine sehr komplexe Situation, die sie aus beiden Perspektiven sieht. Und sie sieht das Leid der Palästinenserinnen und Palästinenser und sie sieht aber auch das Leid der Jüdinnen und Juden. Und das ist sehr schwer zu ertragen für einen so alten Menschen. Also sie wirft Trump vor, dass er den Antisemitismus befeuert. Er hat den Jüdinnen und Juden vorgeworfen, wenn er nicht Präsident wäre, dann seien sie schuld. Das wirft sie ihm vor. Also diese Hetze, dieses Spalten und Hass verbreiten, das wirft sie ihm vor. Und sie hat Angst, dass er diese Demokratie, dass er die Demokratie in Amerika, ja vielleicht abschafft am Ende, dass das keine Demokratie am Ende mehr ist. Das macht ihr große Sorgen.

Speaker 1: Beobachtet sie eigentlich auch noch die politische Lage in Europa?

Speaker 2: Wir reden da immer mal wieder drüber, was in Deutschland passiert. Und da hört sie auch dann zu und interessiert sich dafür auch. Aber das, was in Amerika ist und Israel ist, das steht tatsächlich jetzt im Moment im Vordergrund. Aber solche Momente wie in Amsterdam, sie hat ja selbst in Amsterdam gelebt. Und da gab es ja diese Ausschreitung nach einem Fußballspiel.

Speaker 8: Israelis und Juden werden nach einem Fußballspiel durch die Stadt gejagt und niedergetreten. Der niederländische König Willem-Alexander räumt ein, sein Land habe die jüdische Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg gestern erneut im Stich gelassen.

Speaker 2: Das läuft dann auch in Amerika groß in den Medien und das erschüttert sie natürlich. Wie schafft Irene Butter es, nicht den Mut zu verlieren? Also ich kenne sie jetzt sehr lange und ich beobachte das schon sehr lange, wie sie das macht. Und mein Gefühl ist, dass das ein Mechanismus ist, den sie aus diesen schweren und harten Zeiten gelernt hat und dass ihre Persönlichkeit einfach so ist. Ich meine, Konzentrationslager, alle, die dort nicht in die Zukunft geguckt haben, alle, die dort nicht irgendwelche Hoffnungen hatten, alle, die dort, also man ist da sehr schnell gestorben. Das ist eine sehr harte Situation. Und ich habe den Eindruck, Pessimismus ist in bestimmten Zeiten, in sehr harten Zeiten ein Luxus, den man sich nicht leisten kann. Und das kann man an diesen Leuten, an Menschen, die zum Beispiel den Holocaust überlebt haben und bis heute davon erzählen, kann man das lernen, dass es gibt, man muss auf positive Dinge fokussieren, gerade wenn Sachen sehr schrecklich sind und die Welt sehr dunkel und düster ist. Irene vermittelt einem eine sehr, sehr positive Botschaft.

Speaker 3: Ich habe drei Botschaften. Das erste ist, niemals ein Mitläufer sein. Oder etwas, das nicht gerecht ist. Halt nicht den Rücken zurück, bleib aktiv.

Speaker 2: Das zweite Botschaft ist, eine Person kann einen Unterschied machen.

Speaker 3: Alles zählt, solange du Verantwortung nimmst. Und das dritte Botschaft ist, niemals Gegner sein zu verweilen.

Speaker 2: Sich weigern, sich aufhetzen zu lassen gegen andere.

Speaker 3: Und es ist eine Art, sich zu verhindern.

Speaker 1: Lass uns jetzt mal in die Zukunft blicken und auch in die Zukunft von Irene Butter, die ja immerhin schon 94 Jahre alt ist. Wird sie weiter als Zeitzeugin sprechen?

Speaker 2: Irene will dieses Jahr wieder nach Deutschland kommen. Die Befreiung von Bergen-Belsen jährt sich in diesem Jahr zum 80. Mal. Zu den großen Jahrestagen laden sie immer alle Überlebenden ein. Und viele kommen dann und begehen diesen wichtigen Tag miteinander. Und Irene hat auch vor, wieder nach Deutschland zu kommen und hier zu sein, um diesen Tag dann eben mit allen, die das mit ihr zusammen überlebt haben, zu begehen.

Speaker 1: Wieder kehrt sie dort zurück. Das heißt, es gab schon vorherige Male. Hat sie dir erzählt, wie es für sie war, zum ersten Mal an diesen Ort zurückzukehren?

Speaker 2: Ja, das hat sie erzählt. Sie war da mit ihrem Bruder und ihren Kindern und sie waren alle zusammen da. Und sie waren, ja, also es war ein Gefühl des Triumphes. Sie haben es geschafft, sie haben überlebt, sie sind eine Familie, sie werden fortbestehen und die Nazis haben nicht gewonnen.

Speaker 1: Mir ist noch diese Decke im Kopf, von der du am Anfang erzählt hast. Diese Decke, die Irene Butter die ganze Zeit begleitet hat, über so viele Jahrzehnte, an so viele Orte und auch an schreckliche Orte. Und diese Decke hat sie letztes Jahr dem Holocaust Memorial Museum in Washington übergeben. Warum hat sie die Decke eigentlich abgegeben, als sie vielleicht selber noch zu behalten oder in ihrer Familie zu behalten?

Speaker 3: Ich bin hier, um ein paar Besitzungen zum Archiv des Holocaust Museums zu bringen, weil ich denke, sie sind wichtig, um zu beschützen. Und als ich nicht mehr hier bin, will ich, dass sie beschützt werden.

Speaker 2: Sie hat die gespendet, weil sie möchte natürlich, dass sie für die Nachwelt erhalten bleibt. Das ist das eine und das andere ist, dass ich den Eindruck auch hatte, sie hatte auch irgendwie Angst, dass diese Decke sonst irgendwie wegkommt. Und weil ich ihre Familie kenne und ich glaube, niemand würde diese Decke wegschmeißen, habe ich mir das dann nur so erklärt, dass sie offenbar das Gefühl hat, dass irgendwo dahinter, so wie das Gefühl ist, diese Zeiten sind sehr unsicher und wer weiß, wo es uns noch alle hin verschlägt und wer weiß, wie es noch irgendwie weitergeht. Und diese Decke, die muss aber unbedingt an einem sicheren Ort sein und die darf nicht verschwinden, weil sie hat doch so viel erlebt und sie muss weiter fortbestehen. Caroline, vielen Dank. Danke, Jasmin, danke an euch. Ich habe mich sehr gefreut, hier zu sein und mit euch über Irene reden zu können.

Speaker 1: Wenn euch die ganze Geschichte von Irene Butters Flucht vor dem Holocaust und ihr neues Leben in den USA interessiert, dann empfehle ich euch sehr den Podcast, den Caroline Schmidt für den NDR gemacht hat, Zeitkapsel Irene, wie hast du den Holocaust überlebt? Den Link zum Podcast, den packen wir euch natürlich in die Shownotes. Autor dieser 11km-Folge ist Max Stockinger. Mitgearbeitet haben Claudia Schaffer und Hannah Heinsinger. Produktion Jacqueline Brettschek, Konrad Winkler und Fabian Zweck. Redaktionsleitung Lena Gürtler und Fomiko Lipp. 11km ist eine Produktion von BR24 und NDR Info. Mein Name ist Jasmin Borg und 11km ist morgen wieder am Start, dann wieder mit Viktoria. In der Folge von morgen geht es um den Gesundheitszustand der Ostsee, die unter Blaualgen, Sauerstoffmangel und Hitze leidet. Und es geht bei uns darum, warum das nicht nur an der Klimakrise liegt, aber auch die Zukunft anderer Meere sein könnte. Bis dahin, macht's gut.

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